Rechtsprechung // Urheberrecht
BGH, Urteil vom 13.09.2018 - I ZR 187/17
Sportwagenfoto - Der Schadenersatz nach der Lizenzanalogie für die unbefugte kommerzielle Nutzung eines einfachen Lichtbildes kann mit EUR 100,00 ausreichend bemessen sein
UrhG §§ 13, 15, 16 Abs. 1, 19a, 72, 97 Abs. 2, 97a; BGB §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1; ZPO § 287
Leitsätze:*1. Bei der Berechnung der Höhe des Schadensersatzes im Wege der Lizenzanalogie ist zu fragen, was vernünftige Vertragspartner als Vergütung für die vom Verletzer vorgenommenen Benutzungshandlungen vereinbart hätten. Zu ermitteln ist der objektive Wert der Benutzungsberechtigung. Dabei ist unerheblich, ob und inwieweit der Verletzer selbst bereit gewesen wäre, für seine Nutzungshandlungen eine Vergütung zu zahlen (vgl. BGH, Urteil vom 06.10.2005 - I ZR 266/02 - Pressefotos; BGH, Urteil vom 16.08.2012 - I ZR 96/09 - Einzelbild). Im Rahmen der Ermittlung des objektiven Werts der Benutzungsberechtigung, der für die Bemessung der Lizenzgebühr maßgebend ist, müssen die gesamten relevanten Umstände des Einzelfalls in Betracht gezogen und umfassend gewürdigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 02.10.2008 - I ZR 6/06, MIR 2009, Dok. 066 - Whistling for a train; BGH, Urteil vom 16.08.2012 - I ZR 96/09 - Einzelbild). Im Zusammenhang mit der unberechtigten Nutzung einer Fotografie im Internet wird es dabei unter anderem auf die Intensität der Nutzung, insbesondere ihre Dauer, und die Qualität des Lichtbilds ankommen (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2010 - I ZR 68/08 - Restwertbörse I). Soweit damit objektiv eine Erhöhung des wirtschaftlichen Werts der Bildernutzung verbunden ist, wird ferner der für die Erstellung des Lichtbilds erforderliche Aufwand zu berücksichtigen sein. Maßgebliche Bedeutung kommt einer zur Zeit der Verletzungshandlung am Markt durchgesetzten eigenen Lizenzierungspraxis des Rechtsinhabers zu. Fehlt es daran, liegt es für die Festsetzung einer angemessenen Lizenzgebühr nahe, branchenübliche Vergütungssätze und Tarife als Maßstab heranzuziehen, wenn sich in dem maßgeblichen Zeitraum eine solche Übung herausgebildet hat (vgl. BGH, Urteil vom 06.10.2005 - I ZR 266/02 - Pressefotos; BGH, Urteil vom 16.08.2012 - I ZR 96/09 - Einzelbild, st. Rspr.).
2. Ob die von der Mittelstandsvereinigung Fotomarketing, einer Interessenvertretung der Anbieterseite, einseitig erstellten MFM-Empfehlungen branchenübliche Vergütungssätze enthalten, ist fraglich (vgl. bereits: BGH, Urteil vom 29.04.2010 - I ZR 68/08 - Restwertbörse I). Dies gilt insbesondere bei der Bestimmung der Vergütung für eine Nutzung von Fotografien im Internet, die nicht von professionellen Marktteilnehmern erstellt worden sind.
3. Gibt es keine branchenüblichen Vergütungssätze und Tarife, ist die Höhe der als Schadensersatz zu zahlenden Lizenzgebühr vom Tatrichter gemäß § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach seiner freien Überzeugung zu bemessen. Dabei sind an Art und Umfang der vom Geschädigten beizubringenden Schätzgrundlagen nur geringe Anforderungen zu stellen; dem Tatrichter kommt zudem in den Grenzen eines freien Ermessens ein großer Spielraum zu.
4. Bei einem einfachen Foto bzw. Lichtbild ("Schnappschuss") kann die Qualität dieses Lichtbilds und die Wiedergabe des gewählten Motivs auch unter Berücksichtigung einer gewerblichen Nutzung der betreffenden öffentlichen Zugänglichmachung mit einem Betrag von EUR 100,00 angemessen berücksichtigt sein (wird ausgeführt).
5. Die Höhe der fiktiven Lizenzgebühr, die zum Ausgleich eines für die fehlende Urhebernennung verursachten Vermögensschadens geschuldet ist, kann in Form eines Zuschlags auf die (fiktive) Lizenzgebühr bemessen werden, die für die jeweilige Nutzung (hier das Vervielfältigen und öffentliche Zugänglichmachen der Fotografie) zu zahlen ist (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2015 - I ZR 148/13, MIR 2015, Dok. 052 - Motorradteile, mwN).
6. Die Festlegung des Gegenstandswerts bei der unberechtigten, gewerblichen Nutzung eines einfachen Fotos bzw. Lichtbildes kann mit EUR 6000,00 angemessen sein.
7. Ausgangspunkt für die Bestimmung der vertragsstrafenbewehrten Unterlassungspflichten des Beklagten ist die Auslegung der Vertragsstrafenvereinbarung. Die Auslegung eines Unterlassungsvertrags richtet sich nach den allgemeinen, für die Vertragsauslegung geltenden Grundsätzen. Maßgeblich ist somit in erster Linie der gewählte Wortlaut und der diesem zu entnehmende objektive Parteiwille (BGH, Urteil vom 13.11.2013 - I ZR 77/12, MIR 2014, Dok. 051 - Vertragsstrafenklausel). Dabei ist davon auszugehen, dass es regelmäßig dem Parteiwillen entspricht, der Schuldner wolle vertraglich keine weitergehenden Unterlassungspflichten übernehmen, als diejenigen, die zum Ausschluss des gesetzlichen Unterlassungsanspruchs erforderlich sind (vgl. BGH, Urteil vom 05.04.2003 - I ZR 222/00 - Internet-Reservierungssystem). Der Schuldner eines gesetzlichen Unterlassungsanspruchs ist im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren nur verpflichtet, auf selbständig handelnde Dritte einzuwirken, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt und bei denen er mit - gegebenenfalls weiteren - Verstößen ernstlich rechnen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 12.07.2018 - I ZB 86/17).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 28.12.2018
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2905
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