Rechtsprechung
BVerfG, Beschluss vom 27.10.2006 - Az. 1 BvR 1811/99
Die Speicherung von Verbindungsdaten (hier: bei Prepaid-Karten) gegen den ausdrücklichen Kundenwunsch stellt einen nicht nur unerheblichen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis dar und ist unzulässig.
GG Art. 10 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1; § 6 Abs. 4 TDSV; § 97 TKG; TKV § 16 Abs. 1, 2
Leitsätze:*1. Das Fernmeldegeheimnis schützt nicht nur die Kommunikationsinhalte, sondern auch
Informationen über Ort, Zeit sowie Art und Weise der Kommunikation
(vgl.BVerfGE 67, 157 (172); 85, 386 (396); 100, 313 (358)). Insbesondere erstreckt sich der
Grundrechtsschutz auf Telekommunikations-Verkehrsdaten, die Aufschluss über die an der Kommunikation
beteiligten Personen und die Umstände der Kommunikation geben
(vgl. BVerfGE 107, 299 (312 ff.); 113, 348 (365); BVerfG, Urteil des Zweiten Senats
vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, NJW 2006, S. 976 (978)).
2. Art. 10 Abs.1 GG begründet nicht nur ein Abwehrrecht gegen die Kenntnisnahme
des Inhalts und der näheren Umstände der Telekommunikation durch den Staat,
sondern auch einen Auftrag an den Staat, Schutz insoweit vorzusehen, als
private Dritte sich Zugriff auf die Kommunikation verschaffen (BVerfGE 106, 28 (37)).
Der Richter, der einen dieses Grundrecht betreffenden Rechtsstreit zu entscheiden hat,
muss prüfen, ob und in welcher Intensität das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG von der
Anwendung der einschlägigen zivilrechtlichen Vorschriften berührt wird. Stehen dem
Fernmeldegeheimnis gegenläufige Belange etwa des Telekommunikationsunternehmens entgegen,
so sind die betroffenen Belange einander im Rahmen einer Abwägung zuzuordnen. Verfehlt
der Richter den Schutzgehalt des Art. 10 Abs. 1 GG und beruht sein Urteil auf der
Außerachtlassung dieses verfassungsrechtlichen Einflusses auf das Privatrecht, so liegt
darin ein Grundrechtsverstoß.
3. Auch eine nur kurzfristige Speicherung von Verkehrsdaten (hier: Speicherung von Verbindungsdaten
über Mobilfunkverbindungen mittels einer Prepaid-Karte) berührt das Interesse
des Betroffenen an der Wahrung seines Fernmeldegeheimnisses in nicht ganz unerheblichem Ausmaß.
4. Grundsätzlich trägt ein Anbieter von Telekommunikationsleistungen die Beweislast dafür,
dass sein Kunde seine Leistung in Anspruch genommen hat, also einzelne Verbindungen
von dem Anschluss des Kunden hergestellt wurden. Werden Einwendungen gegen die Höhe
der in Rechnung gestellten Verbindungsentgelte erhoben, muss der Anbieter nach § 16 Abs. 1 TKV
das Verbindungsaufkommen nach den einzelnen Verkehrsdaten aufschlüsseln. Allerdings
unterfallen diese Verkehrsdaten dem Fernmeldegeheimnis. Den Zielkonflikt zwischen
dem Interesse des Kunden an Datenschutz und seinem Interesse an der Kenntnis der
Einzelverbindungen, um die Anbieterforderung nachvollziehen und überprüfen zu können,
hat der Verordnungsgeber durch § 16 Abs. 2 TKV in Verbindung mit § 6 Abs. 4
TDSV (jetzt: § 97 Abs. 4 TKG) so gelöst, dass die Entscheidung dem Kunden
überlassen bleibt. Nach § 16 Abs. 2 TKV ist der Anbieter vom Nachweis der
Herstellung der berechneten Einzelverbindungen entlastet, wenn die Verkehrsdaten
aus technischen Gründen oder auf Wunsch des Kunden nicht gespeichert oder solche
Daten auf Wunsch des Kunden oder aufgrund rechtlicher Verpflichtung gelöscht wurden (vgl.
BGH, Urteil vom 24. Juni 2004 - III ZR 104/03 -, NJW 2004, S. 3183 (3184)).
MIR 2007, Dok. 175
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 06.05.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/677
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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