MIR-Newsletter

Der MIR-Newsletter informiert Sie regelmäßig über neue Inhalte in MEDIEN INTERNET und RECHT!

Schließen Abonnieren
MIR-Logo mobil

Logo MEDIEN INTERNET und RECHT
Logo MEDIEN INTERNET und RECHT

Rechtsprechung // Zivilrecht



BGH, Urteil vom 12.01.2023 - I ZR 49/22

Unterwerfung durch PDF - Die Übersendung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung als PDF-Datei per E-Mail genügt, genügt nicht, genügt, genügt nicht...

BGB §§ 126 Abs. 1, 127 Abs. 1, 150 Abs. 2; HGB §§ 343 Abs. 1, 350; ZPO § 93

Leitsätze:*

1. Eine Unterlassungserklärung muss, um die durch eine Verletzungshandlung begründete Gefahr der Wiederholung entsprechender Wettbewerbsverstöße auszuräumen, eindeutig und hinreichend bestimmt sein und den ernstlichen Willen des Schuldners erkennen lassen, die betreffende Handlung nicht mehr zu begehen, und daher durch ein angemessenes Vertragsstrafeversprechen abgesichert sein. Sie muss außerdem den bestehenden gesetzlichen Unterlassungsanspruch nach Inhalt und Umfang vollständig abdecken und dementsprechend uneingeschränkt, unwiderruflich, unbedingt und grundsätzlich auch ohne die Angabe eines Endtermins erfolgen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die Unterlassungsverpflichtungserklärung die Wiederholungsgefahr beseitigt, ist derjenige der Abgabe der Erklärung (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 08.03.1990 - I ZR 116/88 - Unterwerfung durch Fernschreiben; BGH, Urteil vom 21.02.2008 - I ZR 142/05 - Buchführungsbüro; BGH, Urteil vom 17.09.2015 - I ZR 92/14 - Smartphone-Werbung; BGH, Urteil vom 13.09.2018 - I ZR 117/15 - YouTube-Werbekanal II; BGH, Urteil vom 01.12.2022 - I ZR 144/21 - Wegfall der Wiederholungsgefahr III). Voraussetzung für den Wegfall der Wiederholungsgefahr ist insbesondere, dass die Erklärung sich als Ausdruck eines ernsthaften Unterlassungswillens darstellt, wozu namentlich gehört, dass die versprochene Sanktion geeignet erscheint, den Versprechenden von Wiederholungen der Verletzungshandlung abzuhalten. Ob dies der Fall ist, muss in umfassender Würdigung aller hierfür in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls sorgfältig und unter Anlegung der gebotenen strengen Maßstäbe geprüft werden (BGH, Urteil vom 01.12.2022 - I ZR 144/21 - Wegfall der Wiederholungsgefahr III, mwN). Das Erfordernis der Ernstlichkeit schließt nach dem Sinn und der Funktion der Unterlassungserklärung die Bereitschaft des Schuldners ein, dem Gläubiger die Erklärung auf dessen Verlangen auch in einer Form abzugeben, die im Streitfall die Durchsetzung ohne rechtliche Zweifelsgründe und Beweisschwierigkeiten ermöglicht; denn wenn der Schuldner im eigenen Interesse erreichen will, dass der Gläubiger von der prozessualen Durchsetzung seines Anspruchs Abstand nimmt, muss er bereit sein, diesem eine rechtliche Ausgangsstellung einzuräumen, die im Verletzungsfall der eines Titelgläubigers nicht allzu sehr nachsteht. Fehlt diese Bereitschaft, so bestehen grundsätzlich berechtigte Zweifel an der Ernstlichkeit der abgegebenen Erklärung und des Unterwerfungswillens (BGH, Urteil vom 08.03.1990 - I ZR 116/88 - Unterwerfung durch Fernschreiben).

2. Zwar ist die Vereinbarung, auf die die Unterlassungsverpflichtungserklärung abzielt, ein abstraktes Schuldanerkenntnis (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.1995 - I ZR 176/93 - Kurze Verjährungsfrist; BGH, Urteil vom 05.03.1998 - I ZR 202/95 - Altunterwerfung III), so dass sie grundsätzlich dem Schriftformerfordernis unterliegt (§ 780 Satz 1, § 781 Satz 1 BGB). Das Schriftformerfordernis besteht allerdings gemäß § 343 Abs. 1, § 350 HGB nicht, wenn die Unterlassungsverpflichtungserklärung von einem Kaufmann im Rahmen seines Handelsgewerbes abgegeben wird.

3.

a) Eine von einem Kaufmann im Rahmen seines Handelsgewerbes abgegebene Unterlassungsverpflichtungserklärung unterliegt der Formfreiheit (§ 343 Abs. 1, § 350 HGB).

b) Es fehlt im Regelfall nicht an der Ernstlichkeit der Unterlassungsverpflichtungserklärung, wenn der Unterlassungsschuldner dem Verlangen des Unterlassungsgläubigers nicht nachkommt, innerhalb der gesetzten Frist eine unterschriebene Unterlassungsverpflichtungserklärung im Original zu übersenden, sondern er stattdessen fristgemäß eine unterschriebene Erklärung als PDF-Datei per E-Mail übersendet.

4. Lehnt der Gläubiger die Annahme einer strafbewehrten Unterlassungserklärung gegenüber dem Schuldner ab, fehlt es ab dem Zugang der Ablehnung an einer verhaltenssteuernden Vertragsstrafenandrohung, die den Schuldner von zukünftigen Verstößen abhalten soll, weil er nicht mehr damit rechnen muss, dass der Gläubiger durch die Annahme der strafbewehrten Unterlassungserklärung eine Vertragsstrafeverpflichtung begründet hat. Die durch die Verletzungshandlung begründete Vermutung der Wiederholungsgefahr kann mit einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aber nur solange widerlegt werden, wie die erforderliche Abschreckungswirkung durch eine - nach Ablehnung durch den Gläubiger nicht mehr bestehende - effektive Sanktionsdrohung gesichert ist (vgl. BGH, Urteil vom 01.12.2022 - I ZR 144/21 - Wegfall der Wiederholungsgefahr III).

5. Wird in der Abmahnung aufgefordert binnen einer bestimmten Frist eine unterschriebene Unterlassungsverpflichtungserklärung zu übersenden und wird weiterhin erklärt, dass eine Versendung der Erklärung vorab per Fax oder E-Mail nur dann genüge, sofern das entsprechende Original (hier binnen weiterer Frist) eingeht, hat die Abmahnung damit den Erklärungswert, dass der Anspruchsteller den Abgemahnten zum Abschluss eines Unterlassungsvertrags unter Einhaltung einer gewillkürten Schriftform gemäß § 127 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 126 Abs. 1 BGB aufgefordert hat.

MIR 2023, Dok. 032


Ann. der Redaktion: Leitsätze 3 a) und b) sind die amtlichen Leitsätze des Gerichts.

Sofern die Entscheidung des Bundesgerichtshofs letztlich leider nur den bloßen Anschein erweckt, zumindest die strafbewehrte Unterwerfung eines Kaufmanns könnte "rechtssicher" via E-Mail versandter PDF-Datei erfolgen und damit der "fortgeschrittene Entwicklung der Technik und der Usancen des Rechtsverkehrs" (Rz. 23) folgen, ergibt sich auch im Zusammenspiel mit der jüngeren Rechtsprechungsänderung in der Entscheidung "Wegfall der Wiederholungsgefahr III" (BGH, Urteil vom 01.12.2022 - I ZR 144/21 mitunter verwirrend bemerkenswertes. Eine grundsätzlich mögliche ernsthaft-formwirksame (da formfreie) Unterwerfung via PDF wird durch die einfache Willkür des Abmahnenden letztlich unwirksam. Der Ablauf: Der Abmahnende fordert in der Abmahnung zumindest die unverzügliche Nachsendung "des Originals" der strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung, der Abgemahnte (Kaufmann) bietet eine Erklärung via E-Mail und PDF-Datei an, der Abmahnende lehnt ab: Alles weg. Von der ausgeräumten Wiederholungsgefahr bis zur möglichen "Formwirksamkeit". Am Ende - so kann man es schon sagen - wegen bloßer Förmelei. Denn selbst der BGH konstatiert ganz ausdrücklich, dass einer Unterlassungsverpflichtungserklärung via E-Mail und PDF-Datei gerade nicht die Ernstlichkeit fehlt (LS 3 b). Die Folge für die Praxis? Im Zweifel weiterhin alles per Schneckenpost. Denn auf diese "Kleinigkeiten" werden sich selbsternannte Verfahrens- und Prozessspezialisten im Gewerblichen Rechtsschutz & Co. natürlich zunächst einmal brusttrommelnd einschießen. Ohnehin macht der BGH nochmal deutlich: Partei und Anwaltschaft müssen alles wissen; auch all das, was noch so unausgegoren den berufenen Spruchkörpern entfleucht. "Eine Rechtsprechungsänderung ermöglicht dem Beklagten in der Regel kein sofortiges Anerkenntnis, weil die Einschätzung der Rechtslage in seinen Verantwortungsbereich fällt" (Rz. 42). Das ist zwar allen klar. Macht es aber nicht besser. Bitte freimachen! Nicht nur falls Marke zur Hand!
Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Download: Entscheidungsvolltext PDF

Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 04.05.2023
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3276

*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.

// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
dejure.org StellenmarktAnzeige