Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
OLG Rostock, Beschluss vom 17.11.2020 - 2 U 16/19
Auf einem Auge blind? – Rechtsmissbrauch wegen systematischer „Verschonung“ eigener Mitglieder von der Abmahntätigkeit eines (Wettbewerbs-) Verbandes
UWG § 8 Abs. 4 a.F.
Leitsätze:*1. Von einem Rechtsmissbrauch ist auszugehen, wenn das beherrschende Motiv für die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs in sachfremden, für sich genommen nicht schutzwürdigen Interessen und Zielen besteht, die als eigentliche Triebfeder der Verfahrenseinleitung erscheinen. Die Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs erfordert eine sorgfältige Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelfallumstände (BGH, Urteil vom 04.07.2019 – I ZR 149/18).
2. Für sich genommen nicht ausreichend ist dabei, wenn ein Verband gegen außenstehende Dritte vorgeht, den unlauteren Wettbewerb durch gleichartige Verletzungshandlungen der eigenen Mitglieder jedoch duldet. Dies gilt insbesondere, wenn der Verband, der die Frage der Wettbewerbswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens höchstrichterlich klären lassen will, zunächst gegen einen Dritten und nicht gegen ein eigenes Mitglied gerichtlich vorgeht. Eine unzumutbare Benachteiligung des (allein) angegriffenen Verletzers gegenüber anderen - etwa deshalb, weil nunmehr allein er die angegriffenen Handlungen unterlassen müsste - ist darin in der Regel schon deshalb nicht zu sehen, weil es dem Verletzer offensteht, seinerseits gegen gleichartige Verletzungshandlungen seiner von dem Verband nicht angegriffenen Mitbewerber vorzugehen (BGH, Urteil vom 12.12.1996 - I ZR 7/94). Demgegenüber ist es rechtsmissbräuchlich, wenn der Verband mit einem selektiven Vorgehen ausschließlich gegen Nichtmitglieder bezweckt, neue Mitglieder zu werben, denen er nach einem Beitritt Schutz vor Verfolgung gewährt (BGH, Urteil vom 17.08.2011 - I ZR 148/10, MIR 2012, Dok. 012; OLG Celle, Urteil vom 26.03.2020 – 13 U 73/19.
3. Ist die tatsächliche Vermutung für die Zulässigkeit der Rechtsverfolgung durch geeigneten Tatsachenvortrag des Verletzers - oder ggf. auch bereits anhand des eigenen Sachvortrages des klagenden Verbandes - erschüttert, aus dem sich Anhaltspunkte für eine systematische „Verschonung“ eigener Mitglieder ergeben, so trifft den Verband eine zumindest sekundäre Darlegungslast. Der Verband muss dann durch substantiierten Tatsachenvortrag den Einwand des Rechtsmissbrauchs entkräften.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 22.12.2020
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3037
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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