Rechtsprechung
OLG Köln, Beschluss vom 27.12.2010 - 6 W 155/10
Filesharing und gewerbliches Ausmaß - Zum Auskunftsanspruch gem. § 101 Abs. 2 UrhG.
UrhG § 101 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 9; GG Art. 10
Leitsätze:*1. Der Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 2 UrhG erfordert sowohl, dass der Auskunftsverpflichtete in gewerblichem Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbracht hat (§ 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG), als auch, dass eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß vorliegt (vgl. § 101 Abs. 1 UrhG).
2. Das Angebot eines einzelnen urheberrechtlich geschützten Werkes im Internet in einer sog. Tauschbörse kann dass geschützte Recht in einem gewerblichen Ausmaß verletzen, da es der Rechtsverletzer - auch wenn sich das Angebot nur auf einen kurzen Zeitraum beschränkt - nicht mehr in der Hand hat, in welchem Umfang das Werk weiter vervielfältigt wird. Gerade in der weiteren Vervielfältigung liegt aber der Sinn und Zweck sogenannter Tauschbörsen im Internet (
OLG Köln, Beschluss vom 21.10.2008 - 6 Wx 2/08, MIR 2008, Dok. 323;
OLG Köln, Beschluss vom 09.02.2009 - 6 W 182/08, MIR 2009, Dok. 061). Erforderlich für einen Auskunftsanspruch ist jedoch ein besonders schwerwiegender Eingriff in die Recht des Urhebers. Im Rahmen des Auskunftsanspruchs ist das Interesse des Rechtsinhabers an der Verwertung des Werks mit den grundrechtlich geschützten Positionen der Anschlussinhaber abzuwägen. Für den Auskunftsanspruch genügt daher nicht jede Rechtsverletzung, sondern nur eine solche, die gewerbliches Ausmaß erreicht. Der Auskunftsanspruch wird daher nur solnage gewährt, bis die wirtschaftliche Verwertung des betreffenden Werks im Wesentlichen abgeschlossen ist.
3. Ein besonders schwerwiegender Eingriff kann sich zunächst daraus ergeben, dass ein Rechtsverletzer eine Vielzahl urheberrechtlich geschützter Werke öffentlich zugänglich macht. Da sich dies allerdings ohne die erst zu erteilende Auskunft des Internetproviders nicht feststellen lässt, kann hierauf ein Auskunftsanspruch praktisch nicht gestützt werden.
4. Ein gewerbliches Ausmaß der Rechtsverletzung kann sich aus dem hohen Wert des betreffenden Werks ergeben (OLG Köln, Beschluss vom 03.11.2009 - 6 W 136/08 - für ein Computerprogramm, dessen aktuelle Version 499,00 EUR kostet und für dessen frühere Versionen der Nutzungsberechtigte kostenlose Upgrades zur Verfügung stellt).
5. Ein gewerbliches Ausmaß liegt auch dann vor, wenn eine hinreichend umfangreiche Datei (bzw. Werk) innerhalb ihrer relevanten Verwertungsphase öffentlich zugänglich gemacht wird (
OLG Köln, Beschluss vom 21.10.2008 - 6 Wx 2/08, MIR 2008, Dok. 323;
OLG Köln, Beschluss vom 21.07.2010 - 6 W 79/10;
OLG Schleswig, Beschluss vom 05.02.2010 - 6 W 26/09; im Ergebnis ebenso für kurz nach der Erstveröffentlichung angebotene Dateien:
LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 18.09.2008 - 2-06 O 534/08, MIR 2008, Dok. 298;
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 01.09.2009 - 6 W 47/09, MIR 2009, Dok. 190; 379;
OLG Hamburg, Urteil vom 17.02.2010 - 5 U 60/09;
anders für einmalige Download-Angebote:
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27.10.2008 - 3 W 184/08, MIR 2008, Dok. 328;
OLG Oldenburg, Beschluss vom 01.12.2008 - 1 W 76/08).
6. Eine hinreichend umfangreiche Datei liegt jedenfalls dann vor, wenn ein gesamtes Musikalbum oder ein Film angeboten wird. Dabei ist unerheblich, ob der Verletzte die Rechte an dem gesamten Musikalbum innehat oder nur an einzelnen Titeln. Nicht erforderlich ist insofern, dass der Verletzte in einem gewerblichen Ausmaß in seinen Rechten verletzt ist; es genügt, dass (überhaupt) eine Rechtsverletzung gewerblichen Ausmaßes vorliegt (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 21.10.2008 - 6 Wx 2/08, MIR 2008, Dok. 323).
7. Wird eine besonders umfangreiche Datei, wie ein vollständiger Kinofilm oder ein Musikalbum oder Hörbuch, vor oder unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung in Deutschland widerrechtlich im Internet öffentlich zugänglich gemacht wird, kann eine Rechtsverletzung gewerblichen Ausmaßes angenommen werden (mit Verweis auf BT-Drucks. 16/8783, S. 50). Hierbei ist der Zeitraum "unmittelbar nach" der Veröffentlichung für Werke der Unterhaltungsmusik (regelmäßig) mit sechs Monaten zu bemessen (OLG Köln, Beschluss vom 21.07.2010 - 6 W 63/10; OLG Köln, Beschluss vom 21.07.2010 - 6 W 69/10; OLG Köln, Beschluss vom 26.07.2010 - 6 W 98/10). Bei Hörbücher, Hörspielen und ähnlichen nicht besonders aktualitätsbezogenen Werkgattungen können dagegen längere Verwertungsphasen anzunehmen sein (vgl. insoweit: OLG Köln, Beschluss vom 04.06.2009 - 6 W 48/09; OLG Köln, Beschluss vom 04.06.2009 - 6 W 46/09; OLG Köln, Beschluss vom 15.12.2010 - 6 W 166/10).
8. Ein Fortdauern der relevanten Verwertungsphase über diese Frist hinaus kann nur bei Vorliegen besonderer Umstände angenommen werden. Ein solcher Umstand kann bei einem fortdauernden besonders großen kommerziellen Erfolg des Werks anzunehmen sein; etwa dann, wenn ein Musikalbum im Zeitpunkt der Rechtsverletzung in den TOP 50 der Verkaufscharts der Musikindustrie platziert ist (vgl. dazu:
OLG Köln, Beschluss vom 08.01.2010 - 6 W 153/09;
OLG Köln, Beschluss vom 13.04.2010 - 6 W 28/10; OLG Köln, Beschluss vom 26.07.2010 - 6 W 98/10, OLG Köln, Beschluss vom 26.07.2010 - 6 W 77/10; OLG Köln, Beschluss vom 21.10.2010 - 6 W 87/10), wenn ein Titel auf einem Album zu diesem Zeitpunkt eine besonders gute Chartplatzierung aufweist (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 18.11.2010 - 6 W 185/10 - Platz 2 der Single-Charts) oder auch, wenn ein 8 Monate altes Erstwerk einer Künstlergruppe, dass nach vier Monaten in einer Neuveröffentlichung erschienen und von dem ein Titel zur Zeit der Rechtsverletzung in den Single-Charts platziert war (dazu: OLG Köln, Beschluss vom 13.04.2010 - 6 W 28/10). Bei Hörbüchern kann zudem von Bedeutung sein, wie umfangreich das Werk ist und welchen Erfolg es hat.
9. Gegen ein Andauern der relevanten Verwertungsphase spricht, wenn das Werk zu Ausverkaufspreisen "verramscht" wird (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 26.07.2010 - 6 W 77/10; OLG Köln, Beschluss vom 15.12.2010 - 6 W 166/10), wobei Preisschwankungen - etwa durch Sonderangebote - nicht genügen.
10. Bei einem Filmwerk beginnt die relevante Verwertungsphase erst mit der Veröffentlichung des Films auf DVD. Die Verwertung eines Filmwerks durch den Verkauf von DVDs stellt eine grundlegend andere Nutzungsart gegenüber dem Verleih an Lichtspielhäuser dar. Erst mit dem Start des DVD-Verkaufs wird der Öffentlichkeit das Werk in die Hand gegeben, wobei gerade diese Nutzungsmöglichkeit durch illegale Angebote im Internet besonders eingeschränkt wird.
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 05.01.2011
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2279
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