Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 17.05.2018 - I ZR 252/16
Bekömmliches Bier - Zur Werbung für ein Bier mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent als "bekömmlich"
VO (EG) Nr. 1924/2006 Art. 2 Abs. 2 Nr. 5, Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1, UWG § 3a
Leitsätze:*1. Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG, deren Verletzung geeignet ist, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 13.01.2011 - I ZR 22/09 - Gurktaler Kräuterlikör; BGH, Urteil vom 09.10.2014 - I ZR 167/12 - ENERGY & VODKA; BGH, Beschluss vom 12.03.2015 - I ZR 29/13 - RESCUE-Produkte I).
2.
a) Das in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 vorgesehene Verbot gesundheitsbezogener Angaben für alkoholische Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent ist nicht auf Angaben auf Behältnissen beschränkt, in denen diese Getränke vertrieben werden, sondern gilt auch für gesundheitsbezogene Angaben in der Werbung für derartige Getränke.
b) Der Begriff "gesundheitsbezogene Angabe" im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 erfasst jeden Zusammenhang, der eine Verbesserung des Gesundheitszustands dank des Verzehrs des Lebensmittels impliziert. Eine gesundheitsbezogene Angabe liegt außerdem dann vor, wenn mit der Angabe zum Ausdruck gebracht wird, der dauerhafte Verzehr eines Lebensmittels sei der Gesundheit nicht abträglich.
c) Wird in der Werbung Bier mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent als "bekömmlich" bezeichnet und versteht der angesprochene Verkehr diesen Begriff im konkreten Zusammenhang als "gut oder leicht verdaulich", liegt darin eine unzulässige gesundheitsbezogene Angabe.
3. Der Begriff "gesundheitsbezogene Angabe" erfasst zum einen jeden Zusammenhang, der eine Verbesserung des Gesundheitszustands dank des Verzehrs des Lebensmittels impliziert (EuGH, Urteil 06.09.2012 - C-544/10 - Deutsches Weintor; EuGH, Urteil vom 18.07.2013 - C-299/13 - Green-Swan Pharmaceuticals; BGH, Urteil vom 07.04.2016 - I ZR 81/15 - Repair Kapseln, mwN). Eine "gesundheitsbezogene Angabe" liegt jedoch auch dann vor, wenn damit zum Ausdruck gebracht wird, dass für die Gesundheit negative oder schädliche Auswirkungen, die in anderen Fällen mit einem Verzehr des Lebensmittels einhergehen oder sich ihm anschließen, fehlen oder geringer ausfallen (EuGH, Urteil 06.09.2012 - C-544/10 - Deutsches Weintor). Dabei sind nicht nur die Auswirkungen des punktuellen Verzehrs einer bestimmten Menge eines Lebensmittels, die normalerweise nur vorübergehender oder flüchtiger Art sein können, sondern auch die kumulativen Auswirkungen eines wiederholten, regelmäßigen oder sogar häufigen Verzehrs eines solchen Lebensmittels, die nicht zwingend nur vorübergehend und flüchtig sind, zu berücksichtigen (EuGH, Urteil 06.09.2012 - C-544/10 - Deutsches Weintor).
4. Wie das Verkehrsverständnis einer Angabe zu ermitteln ist, ergibt sich aus Erwägungsgrund 16 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (vgl. BGH, Urteil vom 24.07.2014 - I ZR 221/12 - Original Bach-Blüten). Nach Erwägungsgrund 16 Satz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 kommt es darauf an, in welchem Sinne der normal informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher die Angabe unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren versteht (vgl. BGH, Urteil vom 10.12.2015 - I ZR 222/13 - Lernstark). Dabei beruht der Begriff des Durchschnittsverbrauchers nicht auf einer statistischen Grundlage (Erwägungsgrund 16 Satz 5 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006). Die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden müssen sich bei der Beurteilung der Frage, wie der Durchschnittsverbraucher in einem gegebenen Fall typischerweise reagieren würde, auf ihre eigene Urteilsfähigkeit unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs verlassen (Erwägungsgrund 16 Satz 6 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006).
5. Der Begriff "bekömmlich" beschreibt gerade nicht das allgemeine Wohlbefinden, sondern einen Wirkungszusammenhang zwischen dem Genuss des in Rede stehenden Getränks und der Gesundheit. Damit ist die Bezeichnung "bekömmlich" keine Beschreibung des allgemeinen Wohlbefindens, sondern eine gesundheitsbezogene Angabe.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 19.10.2018
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2892
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
OLG Köln, Urteil vom 16.12.2022 - 6 U 111/22, MIR 2023, Dok. 011
Löschungspflicht (auch) für Links?! - Der Unterlassungsschuldner kann zur Löschung von Verlinkungen verpflichtet sein, deren Wiedergabe selbst einen Verstoß gegen ein gerichtliches Unterlassungsgebot darstellt
OLG Celle, Beschluss vom 19.08.202 - 5 W 25/22, MIR 2022, Dok. 071
Werbeanzeige im Internet - Ein Vertrag über die Platzierung einer elektronischen Werbeanzeige unter einer Domain ist rechtlich als Werkvertrag zu qualifizieren
BGH, Urteil vom 22.03.2018 - VII ZR 71/17 , MIR 2018, Dok. 020
Versandkosten Wucher!! - eBay-AGB enthalten keine vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewertungskommentaren, die über die deliktsrechtlichen Grenzen hinausgehen
BGH, Urteil vom 28.09.2022 - VIII ZR 319/20, MIR 2022, Dok. 085
Ein-Stern-Bewertung - Die Bewertung eines Mitbewerbers mit einem von fünf möglichen Sternen bei Google ohne erkennbaren Grund (hier lediglich beruflicher Kontakt) kann ein pauschal herabsetzendes Werturteil i.S.v. § 4 Nr. 1 UWG darstellen
OLG Köln, Teilurteil vom 23.12.2022 - 6 U 83/22, MIR 2023, Dok. 010