Rechtsprechung // Zivilrecht
BGH, Urteil vom 28.09.2022 - VIII ZR 319/20
Versandkosten Wucher!! - eBay-AGB enthalten keine vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewertungskommentaren, die über die deliktsrechtlichen Grenzen hinausgehen
BGB §§ 133, 157, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1; GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1
Leitsätze:*1. Die Zulässigkeit eines Bewertungskommentars bei eBay ist grundsätzlich nicht allein unter deliktsrechtlichen, sondern auch unter vertraglichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist, wenn eine Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay (hier: § 8 Nr. 2 Satz 2 der eBay-AGB) vorsieht, dass die von den Nutzern abgegebenen Bewertungen sachlich gehalten sein müssen und eine Schmähkritik nicht enthalten dürfen.
2. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay sind auch im Verhältnis zwischen den Parteien eines über die Plattform eBay abgeschlossenen Kaufvertrags zu beachten. Denn der gemäß §§ 133, 157 BGB maßgebliche Erklärungsgehalt ihrer zum Vertragsabschluss führenden Willenserklärungen richtet sich nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats grundsätzlich auch nach den Bestimmungen in den eBay-AGB, denen die Parteien vor der Teilnahme an der Verkaufsaktion zugestimmt haben (vgl. BGH, Urteil vom 08.06.2011 - VIII ZR 305/10; BGH, Urteil vom 28.03.2012 - VIII ZR 244/10; BGH, Urteil vom 24.08.2016 - VIII ZR 100/15; BGH, Urteil vom 15.02.2017 - VIII ZR 59/16; siehe auch BGH, Urteil vom 22.11.2017 - VIII ZR 83/16). Deren Aussagegehalt ist, sofern die Erklärungen der Teilnehmer an der Verkaufsaktion aus sich heraus nicht verständlich oder lückenhaft sind und der Auslegung bedürfen, entsprechend in die Auslegung der abgegebenen Willenserklärungen der Kaufvertragsparteien einzubeziehen (BGH, Urteil vom 07.11.2001 - VIII ZR 13/01; BGH, Urteil vom 11.05.2011 - VIII ZR 289/09; BGH, Urteil vom 10.12.2014 - VIII ZR 90/14, MIR 2015, Dok. 014; BGH, Urteil vom 15.12.2017 - VIII ZR 59/16, aaO). Der Aussagegehalt von § 8 Nr. 2 Satz 2 der eBay-AGB ist daher grundsätzlich auch zur Bestimmung der (nach-)vertraglichen Rechte und Pflichten der Kaufvertragsparteien zu beachten, wenn diese besondere Vereinbarungen über die vertragliche Zulässigkeit von (nachträglichen) Bewertungen der gewerblichen Leistung des Verkäufer durch den Käufers nicht getroffen haben.
3. § 8 Nr. 2 Satz 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay, wonach die von Nutzern abgegebenen Bewertungen sachlich gehalten sein müssen und Schmähkritik nicht enthalten dürfen, enthält keine vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewertungskommentaren von Nutzern, die über die deliktsrechtlichen Grenzen wertender Äußerungen hinausgehen.
4. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) beschränkt den Käufer nicht auf eine ausgewogene Darstellung (vgl. BGH, Urteile vom 11.03.2008 - VI ZR 7/07; BGH, Urteil vom 17.04.1984 - VI ZR 246/82). Die Zulässigkeit eines Werturteils hängt nicht davon ab, ob es mit einer Begründung versehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 14.01.2020 - VI ZR 497/18). Denn jeder soll frei sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt (vgl. BVerfGE 61, 1, 7; 42, 163, 171; BGH, Urteil vom 14.01.2020 - VI ZR 497/18, aaO). Dass ein Käufer durch Mitteilung näherer tatsächlicher Umstände hätte verdeutlichen oder sachlicher formulieren können, nimmt seine Äußerung nicht aus dem Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit aus. Das gilt auch dann, wenn nicht das Verhalten von individuellen Personen, sondern - wie hier - von Unternehmen angegriffen wird (vgl. BVerfGK 11, 409, 417; 3, 337, 345). Wegen seiner das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beschränkenden Wirkung ist der Begriff der Schmähkritik dabei eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll (vgl. etwa BGH, Urteile vom 29.01.2002 - VI ZR 20/01; BGH, Urteil vom 16.12.2014 - VI ZR 39/14, MIR 2015, Dok. 008; BGH, Urteil vom 24.07.2018 - VI ZR 330/17, MIR 2019, Dok. 001; BGH, Urteil vom 07.05.2020 - III ZR 10/19; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020 - 1 BvR 2397/19; BVerfG, Beschluss vom 21.03.2022 - 1 BvR 2650/19; jeweils mwN).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 08.11.2022
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3228
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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