Rechtsprechung
LG Berlin, Urteil vom 30.05.2006 - Az. 16 O 923/05
Marktforschungsumfragen - Kein Einverständnis in telefonische Marktforschungsumfragen aus der Bereitstellung eines Telefonanschlusses. Zum Grad der Belästigung durch Telefonanrufe mit dem Zweck der Markforschung.
BGB § 823, § 1004
Leitsätze:*1. Ein die Rechtswidrigkeit ausschließendes Einverständnis in telefonische Marktforschungsumfragen ergibt sich nicht bereits aus
der Bereitstellung eines Telefonanschlusses. Das darin liegende, an die Allgemeinheit gerichtete Angebot des Anschlussinhabers,
auf diesem Weg mit ihm in Kontakt zu treten, gilt nicht uneingeschränkt. Es ist auf Anrufe beschränkt, die eine ihn betreffende
private oder geschäftliche Angelegenheit zum Gegenstand haben. Der Empfänger des Telefonats wendet die mit dem Unterhalt
des Telefonanschlusses verbundenen Kosten nur im eigenen Interesse auf, nicht aber, um Dritten eine vergleichsweise preiswerte
Möglichkeit zur Durchführung ihnen erteilter Aufträge zu eröffnen.
2. Der Grad der mit Telefonanrufen zum Zwecke der Beteiligung an Marktforschung einhergehenden Belästigung ist
nicht geringer zu bemessen als der von unerlaubten Werbeanrufen, bei denen das Interesse des Angerufenen an einem ungestörten
Aufenthalt in seinem häuslichen Bereich höher bewertet wird als das Interesse des Gewerbetreibenden an einer effizienten und kostengünstigen
Werbemöglichkeit. Vielmehr kann bei einer telefonischen Meinungsumfrage die hiervon ausgehende Störung sogar als intensiver zu bewerten
sein als diejenige, die von einem Telefonanruf mit erkennbarem Werbezweck ausgeht. Denn während der Gesprächsabbruch
bei einer Produkt- oder Dienstleistungswerbung noch durch einen Verweis auf einen mangelnden oder bereits gedeckten Bedarf zu
bewerkstelligen sein mag, lässt sich ein Argument gegen die Teilnahme an einer vermeintlich allgemeinen Forschungsinteressen
dienenden Umfrage weniger schnell finden.
3. Ein Marktforschungsunternehmen wird durch das Verbot, ohne vorherige Einwilligung des Angerufenen telefonisch
Verkehrsumfragen durchzuführen, nicht unzumutbar in seinen Rechten (insb. Berufsausübungsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG) beeinträchtigt.
Gleichwohl sich derartige Erhebungen etwa im Gegensatz zur Produktwerbung kaum effektiv per Briefpost durchführen lassen,
weil die Spontaneität der Antworten fehlt und die Rücklaufquote in der Tat zu gering ausfallen dürfte, um dem Ergebnis die notwendige
Verbindlichkeit zu verleihen stehen andere Wege zur Durchführung der Umfragen offen (etwa die Verlegung in den öffentlichen
Straßenraum). Hiermit einhergehende Einschränkungen der Aussagekraft der Ergebnisse sowie mit einer alternativen Verfahrensweise verbundene
Mehrkosten sind zur Wahrung der absolut geschützten Rechte Dritter hinzunehmen. Das gilt erst recht für Erhebungen, die
ausschließlich die individuellen Interessen des Auftraggebers im Auge haben, deren Ergebnis ausschließlich
das wirtschaftliche Interesses dessen fördert und die einen übergeordneten, allgemein interessierenden und verwertbaren Erkenntnisgewinn
erkennen lassen.
MIR 2007, Dok. 043
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 01.02.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/545
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
BGH, Urteil vom 28.07.2022 - I ZR 205/20, MIR 2022, Dok. 064
Zu-Eigen-Machen persönlichkeitsrechtsverletzender Äußerungen Dritter durch den Betreiber eines Internet-Bewertungsportals
Bundesgerichtshof, MIR 2017, Dok. 016
Kein Anscheinsbeweis - Zur Frage des Beweises des Zugangs einer (einfachen, feststehend abgesandten) E-Mail
OLG Rostock, Beschluss vom 03.04.2024 - 7 U 2/24, MIR 2024, Dok. 032
Influencer III - Fördert eine Influencerin durch einen Bericht den Absatz eines fremden Unternehmens, ist dies grundsätzlich kennzeichnungspflichtig, wenn ihr die betreffenden Waren oder Dienstleistungen kostenlos zur Verfügung gestellt wurden
BGH, Urteil vom 13.01.2022 - I ZR 35/21, MIR 2022, Dok. 017
Haftung für Adwords-Anzeigen - Bei fehlender Kenntnis der Verknüpfung von einem (fremden) Unternehmenskennzeichen und der Anzeige durch Google kommt nur eine Störerhaftung des Werbenden in Betracht
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 19.03.2020 - 6 U 240/19, MIR 2020, Dok. 046