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Thomas Gramespacher

"Hoheitliches Hacking" in NRW: Änderung des Verfassungsschutzgesetzes NRW schafft mehr Befugnisse für den Verfassungsschutz

MIR 2006, Dok. 279, Rz. 1


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Mit der Mehrheit von CDU und FDP hat der Landtag NRW am 20.12.2006 das geänderte Verfassungsschutzgesetz NRW (VSG NRW) verabschiedet. Ein Änderungsantrag der SPD wurde abgelehnt. "Alle Argumente sind bereits ausgetauscht", sagte Peter Biesenbach (CDU) und bezeichnete das Gesetz als "gute Lösung". Die SPD hielt dagegen ihre Kritik aufrecht. "Das Auslesen von Festplatten ist ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte, staatlich organisierter Hausfriedensbruch", wiederholte Karsten Rudolph.

"Hoheitliches Hacking"
Unter anderem sieht der Entwurf die Änderung des § 5 Abs.2 Nr. 11 VSG NRW wie folgt vor:

(2) Die Verfassungsschutzbehörde darf nach Maßgabe des § 7 zur Informationsbeschaffung als nachrichtendienstliche Mittel die folgenden Maßnahmen anwenden:

(...)

Nr. 11) heimliches Beobachten und sonstiges Aufklären des Internets, wie insbesondere die verdeckte Teilnahme an seinen Kommunikationseinrichtungen bzw. die Suche nach ihnen, sowie der heimliche Zugriff auf informationstechnische Systeme auch mit Einsatz technischer Mittel. Soweit solche Maßnahmen einen Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis darstellen bzw. in Art und Schwere diesem gleichkommen, ist dieser nur unter den Voraussetzungen des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz zulässig;


In der Begründung zu § 5 Abs. 2 Nr. 11 heißt es unter anderem:

"Mit der Einfügung der neuen Nr. 11 wird das bisher schon zulässige nachrichtendienstliche Mittel des Eindringens in technische Kommunikationsbeziehungen durch Bild-, Ton- und Datenaufzeichnungen für den Bereich des Internets näher modifiziert. Die zunehmende Kommunikationsverlagerung extremistischer Bestrebungen auf das Internet (... ) macht eine wirksame Nachrichtenbeschaffung auch in diesem technischen Umfeld erforderlich. Hierzu soll zukünftig neben der Beobachtung der offenen Internetseiten auch die legendierte Teilnahme an Chats, Auktionen und Tauschbörsen, die Feststellung der Domaininhaber, die Überprüfung der Homepagezugriffe, das Auffinden verborgener Webseiten sowie der Zugriff auf gespeicherte Computerdaten ermöglicht werden. (...) Entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG stehen Verbindungsdaten unter dem Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, sobald sie sich im Herrschaftsbereich des Betroffenen befinden (BVerfG, Urteil v. 2.3.2006). Das Bestimmtheitsgebot verlangt vom Gesetzgeber, dass Eingriffsinstrumente in dieses informationelle Selbstbestimmungsrecht genau bezeichnet werden, ohne dass aber Formulierungen erforderlich wären, die jede Einbeziehung technischer Neuerungen ausschließen (BVerfGE 110, 33 (53); 112, 304 (316f. )). Daher bedarf es einer Spezifizierung der heute schon bestehenden Ermächtigung in § 5 Abs. 2 Nr. 11 alte Fassung.
Die Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich der Datenerhebung ergibt sich aus Art. 70 Abs. 1 GG und der Befugnis für den Verfassungsschutz in den Ländern, da nicht die technische Seite, sondern der jeweilige Zweck der Datengewinnung ausschlaggebend ist (BVerfG, Urteil vom 27.7.2005). Die Zuständigkeit der Länder wird auch nicht dadurch beseitigt, dass die Wirkungen der Maßnahmen über ihre territorialen Grenzen hinausreichen; entscheidend ist lediglich, dass die zu beobachtende Bestrebung Auswirkungen im jeweiligen Land hat (BVerfG, Beschluss vom 24.5.2005) und die Datengewinnung, ihre Auswertung und Verarbeitung bei der ermächtigten Landesbehörde erfolgt (BVerfGE 100, 313 (363)."

BGH im November 2006: Online-Durchsuchung nicht zulässig
Erst im November 2006 hatte der Bundesgerichtshof einen Antrag der Gerneralbundesanwältin gemäß § 102, § 105 Abs. 1, § 94 § 98, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO auf Anordnung der "Online-Durchsuchung" eines Computers im Wege des heimlichen Zugriffs auf die dort gespeicherten Daten zurückgewiesen, da es sich hierbei um einen schwerwiegenden Eingriff in das den persönlichen Freiheitsrechten zuzuordnende Recht auf informationelle Selbstbestimmung handele, der einer gesetzlichen (strafprozessualen) Grundlage entbehre. Der darauf von der Generalbundesanwältin eingelegten Beschwerde half der BGH ebenfalls nicht ab (vgl. dazu BGH Beschl. vom 25.11.2006 - Az. 1 BGs 184/2006 = MIR Dok. 268-2006 und BGH Beschl. vom 25.11.2006 - Az. 1 BGs 186/2006 = MIR Dok. 268-2006).

"Im WWW verlässt man den geschützten Wohnraum"
"Ich mache mir ernste Sorgen um den Rechtstaat", betonte Monika Düker (Grüne). "Sie missachten die Rechte der Betroffenen. Ich halte den Gesetzentwurf für verfassungswidrig." Horst Engel (FDP) warf dagegen der Opposition vor, sie versuche die Quadratur des Kreises. "Sie ignorieren die Experten, die in der öffentlichen Anhörung gesagt haben: mit dem world wide web verlässt man den geschützten Wohnraum für eine unbestimmte Öffentlichkeit. Wenn sie etwas online stellen, ist das, als ob sie etwas ins Schaufenster hängen."

Innenminister Ingo Wolf (FDP) lobte das Verfassungsschutzgesetz als modernstes in Deutschland und als "Quantensprung". Es ginge nicht um private Tagebücher. Der Verfassungsschutz müsse auf Augenhöhe mit Leuten sein, die Böses im Schilde führen. "Der Verfassungsschutz muss auf moderne Kommunikationsmittel zugreifen dürfen - wenn Anhaltspunkte für Straftaten da sind." Die G 10-Kommission (Geheimdienst-Kontrollgremium, bestehend aus acht Landtagsmitgliedern) begleite das gesamte Verfahren und achte auf die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit.

Anm. der Redaktion: Bei dem Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz handelt es sich um das "Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post-, und Fernmeldegeheimnisses".

Online seit: 22.12.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/497
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