Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
EuGH, Urteil vom 25.11.2021 - C-102/20
StWL Städtische Werke Lauf a. d. Pegnitz - Inbox advertising stellt eine Verwendung elektronischer Post für Zwecke der Direktwerbung dar, für die eine Einwilligung des Nutzer erforderlich ist
Richtlinie 2002/58/EG Art. 2 Abs. 2 Buchst. h, Art. 13 Abs. 1; Richtlinie 2005/29/EG Anhang I Nr. 26; UWG §§ 5a, 7, 8
Leitsätze:*1. Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2002/58 enthält eine weite Definition des Begriffs "Nachricht", die jede Information umfasst, die zwischen einer endlichen Zahl von Beteiligten über einen öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienst ausgetauscht oder weitergeleitet wird. Geboten ist ein auch aus technologischer Sicht entwicklungsfähiger Begriff der von dieser Richtlinie erfassten Art von Kommunikation.
Insoweit gestattet Art. 13 ("Unerbetene Nachrichten") Abs. 1 dieser Richtlinie die Verwendung verschiedener Arten der Kommunikation, nämlich von automatischen Anrufsystemen ohne menschlichen Eingriff (automatische Anrufmaschinen), Faxgeräten oder elektronischer Post für die Zwecke der Direktwerbung, vorausgesetzt, sie erfolgt mit vorheriger Einwilligung der Teilnehmer oder Nutzer. Für die Anwendung dieser Bestimmung ist daher erstens zu prüfen, ob die Art der Kommunikation, die für die Zwecke der Direktwerbung verwendet wird, zu den von dieser Bestimmung erfassten gehört, zweitens, ob diese Kommunikation die Direktwerbung bezweckt, und drittens, ob das Erfordernis einer vorherigen Einwilligung des Nutzers beachtet wurde (wird ausgeführt).
2. Erscheinen in der Inbox einer Internet-Mailbox (E-Mail-Postfach), d. h. in dem Bereich, in dem sämtliche an den Nutzer gerichteten E‑Mails angezeigt werden, Werbeeingänge jedweder Art, ist diese Inbox das Mittel, mit dem die betreffenden Werbenachrichten diesem Nutzer übermittelt werden. Daraus resultiert die Verwendung der elektronischen Post (des Nutzers) für die Zwecke der Direktwerbung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58. Der Werbende nutzt dies Liste der privaten E‑Mails unter Berücksichtigung des Interesses und des besonderen Vertrauens des Teilnehmers in Bezug auf diese Liste dann, um Direktwerbung zu platzieren, wenn sie diese wie eine echte E‑Mail aussehen lassen.
Durch ein solches Vorgehen wird das Ziel von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG beeinträchtigt, die Nutzer vor einer Verletzung ihrer Privatsphäre durch unerbetene Nachrichten für Zwecke der Direktwerbung zu schützen.
3. Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Einblendung von Werbenachrichten in der Inbox eines Nutzers eines E‑Mail-Dienstes in einer Form, die der einer tatsächlichen E‑Mail ähnlich ist, und an derselben Stelle wie eine solche E‑Mail, eine „Verwendung ... elektronischer Post für die Zwecke der Direktwerbung“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, ohne dass die Bestimmung der Empfänger dieser Nachrichten nach dem Zufallsprinzip oder die Belastung, die dem Nutzer auferlegt wird, insoweit von Bedeutung sind, da diese Verwendung nur unter der Voraussetzung gestattet ist, dass der Nutzer klar und präzise über die Modalitäten der Verbreitung solcher Werbung, namentlich in der Liste der empfangenen privaten E‑Mails, informiert wurde und seine Einwilligung, solche Werbenachrichten zu erhalten, für den konkreten Fall und in voller Kenntnis der Sachlage bekundet hat.
4. Anhang I Nr. 26 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) ist dahin auszulegen ist, dass ein Vorgehen, das darin besteht, in der Inbox eines Nutzers eines E‑Mail-Dienstes Werbenachrichten in einer Form, die der einer tatsächlichen E‑Mail ähnlich ist, und an derselben Stelle wie eine solche E‑Mail einzublenden, unter den Begriff des „hartnäckigen und unerwünschten Ansprechens“ der Nutzer von E‑Mail-Diensten im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn die Einblendung dieser Werbenachrichten zum einen so häufig und regelmäßig war, dass sie als „hartnäckiges Ansprechen“ eingestuft werden kann, und zum anderen bei Fehlen einer von diesem Nutzer vor der Einblendung erteilten Einwilligung als „unerwünschtes Ansprechen“ eingestuft werden kann.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 26.11.2021
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3135
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