Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Versaumnisurteil vom 09.02.2023 - I ZR 61/22
Kosten für Abschlussschreiben III - Den Verfügungsschuldner trifft nach Ablauf der Wartefrist eine Aufklärungspflicht über den Entschluss Widerspruch zu erheben
BGB § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, §§ 677, 683 Satz 1; UWG § 13 Abs. 3
Leitsätze:*1. Ein Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 677, 683 Satz 1, § 670 BGB kommt für das Abschlussschreiben grundsätzlich in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 04.02.2010 - I ZR 30/08, MIR 2010, Dok. 107, MIR 2015, Dok. 053 - Kosten für Abschlussschreiben I; BGH, Urteil vom 22.01.2015 - I ZR 59/14 - Kosten für Abschlussschreiben II). Eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag liegt nach den genannten Grundsätzen jedoch nur dann vor, wenn die im Abschlussschreiben enthaltene Aufforderung an den Schuldner, die einstweilige Verfügung als endgültige Regelung anzuerkennen und auf die Rechte aus §§ 924, 926 und 927 ZPO zu verzichten, objektiv dem Interesse und subjektiv dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Schuldners entspricht. Ein kostenauslösendes Abschlussschreiben ist dabei nur dann erforderlich und entspricht dem mutmaßlichen Willen des Schuldners, wenn der Gläubiger dem Schuldner angemessene Zeit gewährt hat, um die Abschlusserklärung unaufgefordert von sich aus abgeben zu können. Hierbei ist eine Wartefrist von zwei Wochen, gerechnet ab der Zustellung der einstweiligen Verfügung, im Regelfall geboten und ausreichend. Diese Grundsätze gelten sowohl für eine durch Beschluss (vgl. BGH, Urteil vom 30.03.2017 - I ZR 263/15 - BretarisGenuair) als auch für eine durch Urteil erlassene oder nach Widerspruch bestätigte einstweilige Verfügung (vgl. BGH, Urteil vom 22.01.2015 - I ZR 59/14 - Kosten für Abschlussschreiben II).
2. Berechtigte Ansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb begründen eine - durch die Abmahnung oder auch durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung konkretisierte - wettbewerbsrechtliche Sonderbeziehung eigener Art, die in besonderem Maße durch Treu und Glauben und das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme bestimmt wird. Daraus können sich abhängig von den konkreten Umständen Pflichten zur Aufklärung ergeben, insbesondere wenn dem anderen Teil als Folge des Verhaltens des Verletzers Kostenschäden drohen, die durch die Aufklärung unschwer zu vermeiden sind (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2020 - I ZR 228/19, MIR 2021, Dok. 020 - Saints Row, mwN).
3. Bei dem Abschlussschreiben handelt es sich um ein in der Praxis gebräuchliches und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkanntes Instrument. Daher muss ein im Verfahren der einstweiligen Verfügung unterlegener Schuldner damit rechnen, dass der Gläubiger seinem Rechtsanwalt unmittelbar nach Ablauf der Wartefrist den Auftrag erteilt, ein Abschlussschreiben zu versenden. Der Schuldner muss hierbei berücksichtigen, dass ein Gebührenanspruch des Rechtsanwalts des Gläubigers bereits mit dessen erster Tätigkeit für die Ausführung dieses Auftrags entsteht (vgl. BGH, Urteil vom 07.03.2019 - IX ZR 221/18).
4. Den Schuldner einer einstweiligen (Beschluss-)Verfügung trifft gegenüber dem Gläubiger mit Ablauf der Wartefrist von im Regelfall zwei Wochen, die der Gläubiger vor der Versendung eines Abschlussschreibens einzuhalten hat, eine Aufklärungspflicht über den Entschluss zur Erhebung eines Widerspruchs gegen die einstweilige (Beschluss-)Verfügung. Wird der pflichtwidrig unterlassene Hinweis des Schuldners adäquat kausal für die Kosten eines - objektiv nicht mehr erforderlichen - Abschlussschreibens des Gläubigers, kann das einen Schadensersatzanspruch des Gläubigers nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB auslösen.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 17.05.2023
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3281
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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