Kurz notiert
Bundesgerichtshof
Die Bezeichnung "Terroristentochter" kann in einem konkreten Kontext zulässig sein
BGH, Urteil vom 5.12.2006 – Az. VI ZR 45/05
MIR 2006, Dok. 257, Rz. 1
1
Zur Sache: Die Terroristin und der Figaro
Die Klägerin, eine Tochter der früheren RAF-Angehörigen Ulrike Meinhof, beschäftigt sich als freie Journalistin seit Jahren publizistisch mit dem RAF-Terrorismus. Die Beklagte veranstaltet das Internet-Angebot zur Print-Ausgabe der "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Sie stellte im September 2003 mit der Überschrift "Enthüllungen - Die Terroristin und der Figaro" einen Beitrag ins Internet, der sich mit einem bekannten Berliner Frisör und dessen Kundschaft, zu der auch bekannte Politiker gehören, beschäftigte. Darin wurde ausgeführt, gemäß einem von der Klägerin verfassten Artikel der Tageszeitung "Die Welt" solle der Frisör auch die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof zu einem Zeitpunkt frisiert haben, als diese bereits wegen Mordes gesucht worden sei. Der Beitrag weist weiter darauf hin, dass die Klägerin vor einigen Jahren die Rolle des Außenministers Fischer im Rahmen der Unruhen in Frankfurt enthüllt habe.
Es wird dann u. a. ausgeführt:
"Auf dem Höhepunkt der Debatte um Fischers Vergangenheit war die Berichterstattung gekippt. Die Kollegen wandten sich nun der Jägerin zu, die in den Portraits alles andere als schmeichelhaft wegkam: Als fanatische, verbitterte Verschwörungstheoretikerin erschien R., die die "Achtundsechziger" abgrundtief hasste und sie, wie die "Welt" einmal schrieb, "auch mit sonderbaren Methoden" bekämpfte. Statt Respekt brachte man ihr allenfalls Mitleid entgegen, der ... Terroristentochter, die als Siebenjährige in ein jordanisches Palästinensercamp verfrachtet werden sollte, bevor sie der heutige "Spiegel" Chefredakteur S. A. aus den Händen der RAF befreite."
Entscheidung des Gerichts: Nicht die Diffamierung der Betroffenen, sondern die Auseinandersetzung in der Sache steht im Vordergrund
Gegenstand der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision ist nur noch das vom Berufungsgericht ausgesprochene Verbot, die Klägerin als "Terroristentochter" zu bezeichnen.
Der VI. Zivilsenat hat das Berufungsurteil aufgehoben und das die Klage abweisenden Urteil des Landgerichts bestätigt. Bei der beanstandeten Äußerung sei nicht die Wahrheit der Tatsache im Streit, sondern die Zulässigkeit der gewählten Formulierung, sodass es darauf ankomme, ob es sich um eine Schmähkritik oder Formalbeleidigung handele, die grundsätzlich nicht geduldet werden muss. Eine solche Schmähung, bei der nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll, liege im Fall nicht vor, da der Artikel an Veröffentlichungen und Vorwürfe der Klägerin gegen Dritte anknüpfe und diese in Bezug zu ihrer eigenen Lebensgeschichte setze. Unter diesen Umständen steht nicht die Diffamierung der Betroffenen, sondern die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund.
Bei der demnach erforderlichen Abwägung sei daher zu berücksichtigen, dass die beanstandete Äußerung zwar scharf und polemisch formuliert ist und die Persönlichkeit der Klägerin nicht umfassend beschreibt.
Andererseits sei aber zu beachten, dass die Klägerin ihre Abstammung von Ulrike Meinhof nicht geheim gehalten hat und es sich um einen Beitrag von öffentlichem Interesse handelt, der zur Meinungsbildung bei der Bewertung von Fragen beitragen sollte, die die Klägerin selbst in die Öffentlichkeit getragen hat und bei deren Beurteilung auch der persönliche Lebenshintergrund der Verfasserin von Bedeutung war.
Unter diesen Umständen stelle sich die gewählte Formulierung im konkreten Kontext nicht als rechtswidrig dar.
(tg)
Quelle: PM des BGH Nr. 170/2006 vom 5.12.2006
Die Klägerin, eine Tochter der früheren RAF-Angehörigen Ulrike Meinhof, beschäftigt sich als freie Journalistin seit Jahren publizistisch mit dem RAF-Terrorismus. Die Beklagte veranstaltet das Internet-Angebot zur Print-Ausgabe der "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Sie stellte im September 2003 mit der Überschrift "Enthüllungen - Die Terroristin und der Figaro" einen Beitrag ins Internet, der sich mit einem bekannten Berliner Frisör und dessen Kundschaft, zu der auch bekannte Politiker gehören, beschäftigte. Darin wurde ausgeführt, gemäß einem von der Klägerin verfassten Artikel der Tageszeitung "Die Welt" solle der Frisör auch die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof zu einem Zeitpunkt frisiert haben, als diese bereits wegen Mordes gesucht worden sei. Der Beitrag weist weiter darauf hin, dass die Klägerin vor einigen Jahren die Rolle des Außenministers Fischer im Rahmen der Unruhen in Frankfurt enthüllt habe.
Es wird dann u. a. ausgeführt:
"Auf dem Höhepunkt der Debatte um Fischers Vergangenheit war die Berichterstattung gekippt. Die Kollegen wandten sich nun der Jägerin zu, die in den Portraits alles andere als schmeichelhaft wegkam: Als fanatische, verbitterte Verschwörungstheoretikerin erschien R., die die "Achtundsechziger" abgrundtief hasste und sie, wie die "Welt" einmal schrieb, "auch mit sonderbaren Methoden" bekämpfte. Statt Respekt brachte man ihr allenfalls Mitleid entgegen, der ... Terroristentochter, die als Siebenjährige in ein jordanisches Palästinensercamp verfrachtet werden sollte, bevor sie der heutige "Spiegel" Chefredakteur S. A. aus den Händen der RAF befreite."
Entscheidung des Gerichts: Nicht die Diffamierung der Betroffenen, sondern die Auseinandersetzung in der Sache steht im Vordergrund
Gegenstand der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision ist nur noch das vom Berufungsgericht ausgesprochene Verbot, die Klägerin als "Terroristentochter" zu bezeichnen.
Der VI. Zivilsenat hat das Berufungsurteil aufgehoben und das die Klage abweisenden Urteil des Landgerichts bestätigt. Bei der beanstandeten Äußerung sei nicht die Wahrheit der Tatsache im Streit, sondern die Zulässigkeit der gewählten Formulierung, sodass es darauf ankomme, ob es sich um eine Schmähkritik oder Formalbeleidigung handele, die grundsätzlich nicht geduldet werden muss. Eine solche Schmähung, bei der nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll, liege im Fall nicht vor, da der Artikel an Veröffentlichungen und Vorwürfe der Klägerin gegen Dritte anknüpfe und diese in Bezug zu ihrer eigenen Lebensgeschichte setze. Unter diesen Umständen steht nicht die Diffamierung der Betroffenen, sondern die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund.
Bei der demnach erforderlichen Abwägung sei daher zu berücksichtigen, dass die beanstandete Äußerung zwar scharf und polemisch formuliert ist und die Persönlichkeit der Klägerin nicht umfassend beschreibt.
Andererseits sei aber zu beachten, dass die Klägerin ihre Abstammung von Ulrike Meinhof nicht geheim gehalten hat und es sich um einen Beitrag von öffentlichem Interesse handelt, der zur Meinungsbildung bei der Bewertung von Fragen beitragen sollte, die die Klägerin selbst in die Öffentlichkeit getragen hat und bei deren Beurteilung auch der persönliche Lebenshintergrund der Verfasserin von Bedeutung war.
Unter diesen Umständen stelle sich die gewählte Formulierung im konkreten Kontext nicht als rechtswidrig dar.
(tg)
Quelle: PM des BGH Nr. 170/2006 vom 5.12.2006
Online seit: 06.12.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/475
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