Rechtsprechung // Zivilrecht
OLG Stuttgart, Urteil vom 04.02.2025 - 6 U 46/24
Existenzgründung und Verbrauchereigenschaft? - Ein Coaching, das objektiv zur Vorbereitung der Entscheidung dient, ob es zu einer Existenzgründung kommen soll, kann als Verbraucherhandeln einzuordnen sein
FernUSG §§ 1, 7, 12; BGB §§ 13, 14, 312c, 312g, 355, 356
Leitsätze:*1. Ob eine natürliche Person beim Abschluss eines Rechtsgeschäfts als Verbraucher (§ 13 BGB) oder Unternehmer (§ 14 BGB) zu behandeln ist, hängt davon ab, ob der Zweck des Geschäfts ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit zuzurechnen ist. Die Einordnung als unternehmerisches Handeln setzt dabei allerdings nicht voraus, dass die gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit bei Vertragsschluss bereits ausgeübt wird. Unternehmer ist auch, wer als Existenzgründer ein Geschäft tätigt, das nach seiner objektiven Zweckrichtung zur Aufnahme einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit geschlossen wird (BGH, Beschluss vom 24.02.2005 - III ZB 36/04). Anders zu behandeln sind jedoch Geschäfte im Vorfeld der Existenzgründung, deren objektive Zweckrichtung darauf gerichtet ist, die Entscheidung, ob es zu einer Existenzgründung kommen soll, vorzubereiten, indem dem Handelnden erst die erforderliche Sachkunde verschafft wird, um diese Entscheidung überhaupt treffen zu können (BGH, Urteil vom 15.11.2007 - III ZR 295/06, MIR 2008, Dok. 135).
2. Ein Geschäft, das auch den Zweck hat, die Entscheidung des bislang nicht unternehmerisch tätigen Kunden, ob es zu einer Existenzgründung kommen soll, lediglich vorzubereiten, verliert seinen Charakter als Verbrauchervertrag nicht dadurch, dass der Unternehmer die fraglichen Leistungen in einem einheitlichen Vertragswerk mit solchen kombiniert, die bereits auf die Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit gerichtet und demnach Geschäfte im Rahmen einer Existenzgründung sind.
3. Online-Unterricht, bei dem sich Lehrender und Lernender an verschiedenen Orten aufhalten, erfüllt nach dem Wortlaut des Gesetzes das Tatbestandsmerkmal räumlicher Trennung; eine einschränkende Auslegung der Vorschrift ist nicht geboten. Der gesetzliche Zweck, den Fernunterrichtsinteressenten vor Angeboten von geringer Qualität zu schützen, rechtfertigt die Einbeziehung des Angebots von Online-Unterricht, der im Vergleich zu Präsenzunterricht mit verhältnismäßig geringem Aufwand durchgeführt und über das Internet verbreitet werden kann.
4. Für die Überwachung des Lernerfolgs ist ausreichend, wenn der Vertrag regelmäßig stattfindende Videokonferenzen und den Zugang zu einer Online-Chat-Gruppe vorsieht und dem Teilnehmer dadurch die Möglichkeit eröffnet wird, durch mündliche Fragen zu dem anhand der Lernplattform zu erlernenden Stoff eine individuelle Kontrolle des Lernerfolgs zu erhalten.
MIR 2025, Dok. 021
Da der Kläger hier von dem Gericht (sei es objektiv oder zielgerichtet) als Verbraucher eingeordnet wurde, konnte das Gericht die Frage dahinstehen lassen, ob das FernUSG auf Verträge zwischen Unternehmern anwendbar ist. Das Gericht sah den hier gegenständlichen Vertrag als Fernunterrichtsvertrag an, der gemäß § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig sei, da weder die Beklagte noch der ausführende Dienstleister bei Vertragsschluss über die nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 FernUSG erforderliche Zulassung verfügte.
Das Gericht lies die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu, da in der obergerichtlichen Rechtsprechung der Anwendungsbereich der FernUSG in der vorliegenden, zuletzt gehäuft auftretenden Konstellation, unterschiedlich beurteilt werde. Die Revision wurde in diesem Verfahren (aber auch in weiteren Sachen) nach hiesigen - nicht offiziellen Informationen - wohl eingelegt, so dass zu diesen Rechtsfragen im Bereich „Coaching & FernUSG“ mittelfristig mit einer höchstrichterlichen Stellungnahme gerechnet werden kann. Insbesondere hinsichtlich der sehr grundsätzlichen Frage des persönlichen Anwendungsbereichs des FernUSG wäre eine Klärung wünschenswert. (RA Thomas Ch. Gramespacher, Bonn)
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 11.03.2025
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3455
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