Rechtsprechung // Urheberrecht
BGH, Urteil vom 20.02.2025 - I ZR 16/24
Birkenstocksandale - Zum urheberrechtlichen Werkschutz von Schuh- bzw. Sandalenmodellen
UrhG § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2
Leitsätze:*1.
a. Bei Werken der angewandten Kunst sind keine höheren Anforderungen an die Gestaltungshöhe eines Werks zu stellen als bei Werken der zweckfreien Kunst (vgl. BGH, Urteil vom 13.11.2013 - I ZR 143/12, MIR 2013, Dok. 097 - Geburtstagszug). Bei Gebrauchsgegenständen, die durch den Gebrauchszweck bedingte Gestaltungsmerkmale aufweisen, ist der Spielraum für eine künstlerische Gestaltung jedoch regelmäßig eingeschränkt. Deshalb stellt sich bei ihnen in besonderem Maße die Frage, ob sie über ihre von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet sind und diese Gestaltung eine Gestaltungshöhe erreicht, die Urheberrechtsschutz rechtfertigt (BGH, Urteil vom 15.12.2022 - I ZR 173/21, MIR 2023, Dok. 024 - Vitrinenleuchte; BGH, Beschluss vom 21.12.2023 - I ZR 96/22 - USM Haller).
b. Eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer künstlerischen Leistung gesprochen werden kann. Die ästhetische Wirkung der Gestaltung kann einen Urheberrechtsschutz nur begründen, soweit sie auf einer künstlerischen Leistung beruht und diese zum Ausdruck bringt. Für die Gewährung urheberrechtlichen Schutzes muss eine gestalterische Freiheit bestehen, die in künstlerischer Weise ausgenutzt wird. Eine persönliche geistige Schöpfung ist ausgeschlossen, wo für eine künstlerische Gestaltung kein Raum besteht, weil die Gestaltung durch technische Erfordernisse vorgegeben ist. Mit einer künstlerischen Leistung ist nicht mehr und nicht weniger als eine schöpferische, kreative, originelle, die individuelle Persönlichkeit ihres Urhebers widerspiegelnde Leistung auf dem Gebiet der Kunst gemeint.
c. Für den urheberrechtlichen Schutz eines Werks der angewandten Kunst im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG ist - wie für alle anderen Werkarten auch - eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe zu fordern. Das rein handwerkliche Schaffen unter Verwendung formaler Gestaltungselemente ist dem Urheberrechtsschutz nicht zugänglich. Für den Urheberrechtsschutz muss vielmehr ein Grad an Gestaltungshöhe erreicht werden, der Individualität überhaupt erkennen lässt.
2. Die Klägerseite trägt im urheberrechtlichen Verletzungsprozess die Darlegungslast für das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung. Sie hat daher nicht nur das betreffende Werk vorzulegen, sondern grundsätzlich auch die konkreten Gestaltungselemente darzulegen, aus denen sich der urheberrechtliche Schutz ergeben soll. Bei Gebrauchsgegenständen muss genau und deutlich dargelegt werden, inwieweit sie über ihre von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet sind.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 27.02.2025
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3452
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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