Kurz notiert
Oberlandesgericht Karlsruhe
Autor wissenschaftlicher Veröffentlichungen muss bei Verdacht des Plagiats Recherchen der Presse hinnehmen - Es ist weitgehend Sache der Presse selbst, darüber zu entscheiden, was sie des öffentlichen Interesses für wert hält.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.08.2006 - 14 U 90/06 (rk)
MIR 2006, Dok. 121, Rz. 1
1
I. Zum Sachverhalt:
Der Antragsteller, ein Arzt, arbeitet derzeit an einer Universitätsklinik und ist seit mehr als 10 Jahren auch in der Forschung tätig. Er ist mit nahezu 70 Veröffentlichungen hervorgetreten. In einem von der Antragsgegnerin Ziffer 1 verlegten Blatt erschien im Jahr 2005 ein vom Antragsgegner Ziffer 2 verfasster Artikel mit der Überschrift: „Der Publikator“, in dem gegen den Antragsteller Plagiatsvorwürfe erhoben wurden.
Anfang 2006 mussten die Antragsgegner eine diese Vorwürfe zurückweisende Gegendarstellung abdrucken. Danach verfasste der Antragsgegner Ziffer 2, der Autor des ursprünglichen Artikels, unter Verwendung von Geschäftspapier des Verlages zwei an die Universitätsklinik gerichtete Schreiben, in denen er unter Hinweis auf den ursprünglichen Artikel und mit dem Zusatz, es hätten sich neue Gesichtspunkte ergeben, Gesprächswünsche mit dem Antragsteller und zwei seiner Vorgesetzten mitteilte. Nach erfolglosen schriftlichen Abmahnungen durch den Antragsteller hat sich der Antragsgegner Ziffer 2 unmittelbar mit Fragen an einen der Vorgesetzten des Antragstellers gewandt. Daraufhin hat der Antragsteller beim Landgericht Freiburg den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, mit der es den Antragsgegnern untersagt werden solle, Vorgesetzte, Arbeitgeber oder Mitarbeiter anzuschreiben oder zu kontaktieren und hierbei auf diesen Artikel Bezug zu nehmen.
Das Landgericht Freiburg hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers zum Oberlandesgericht Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - blieb ohne Erfolg.
II. Entscheidung des Gerichts:
Die vom Antragsteller beanstandeten Verhaltensweisen der Antragsgegner sind geeignet, die private und berufliche Reputation des Antragstellers zu beeinträchtigen und stellen deshalb einen Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und in sein Recht auf freie Berufsausübung dar.
Beschränkt wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch die verfassungsmäßige Ordnung einschließlich der Rechte anderer, dazu gehört auch das Grundrecht der Pressefreiheit.
Von einem Informationsinteresse getragene Recherchemaßnahmen sind hinzunehmen
Die Pressefreiheit gewährleistet aber nicht nur die Freiheit, Nachrichten und Meinungen zu verbreiten, sie umfasst vielmehr auch den gesamten Bereich der publizistischen Vorbereitungstätigkeiten, zu der insbesondere auch die Beschaffung von Informationen gehört. Diese grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Presse einerseits und des Antragstellers andererseits sind wie stets bei widerstreitenden Grundrechten gegeneinander abzuwägen und in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Das Informationsinteresse der Presse hängt mit deren öffentlicher Aufgabe zusammen, die Öffentlichkeit zu informieren und zur Meinungsbildung beizutragen. Dabei ist es weitgehend Sache der Presse selbst, darüber zu entscheiden, was sie des öffentlichen Interesses für wert hält und was nicht. Recherchemaßnahmen, die das Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen berühren, sind demnach dann gerechtfertigt, wenn sie von einem vertretbaren Informationsinteresse getragen sind, es genügt, wenn einem auch nur schwachen Verdacht nachgegangen wird.
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Senat festgestellt, dass hier die Recherchemaßnahmen rechtmäßig sind und nicht unterlassen werden müssen. Rechtswidrig wären sie dann, wenn sie eine Racheaktion auf die Verpflichtung zum Abdruck der Gegendarstellung darstellten. Hierfür ist aber nichts ersichtlich. Die Kontaktaufnahme der Antragsgegner mit Arbeitgebern, Vorgesetzten und Kollegen hatte vielmehr den Zweck, den Plagiatsvorwurf nachzurecherchieren und zu überprüfen, wieweit die Veröffentlichungen des Antragstellers für seinen beruflichen Lebensweg von Bedeutung sind. Ein anzuerkennendes Interesse der Fachöffentlichkeit an diesen Fragen ist zu bejahen. Eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit konnte der Senat nicht feststellen. Der Umstand, dass in zwei Fällen die Herausgeber medizinischer Fachzeitschriften sich für die Veröffentlichung eines vom Antragsteller und einem Mitautor stammenden Artikels bei den Lesern mit der Begründung entschuldigten, Passagen seien zu einem Artikel zweier anderer Autoren sehr ähnlich bzw. erhebliche Teile seien einem anderen Manuskript entnommen, stellen starke Verdachtsmomente dar, die Anlass zu einer Recherche zum Thema geistiges Eigentum geben können. Da der Antragsteller mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen hervorgetreten ist, muss er sich wie jeder andere Autor eine Überprüfung seiner Werke dahingehend gefallen lassen, ob es sich dabei um eigene geistige Leistungen gehandelt hat. Eine Überprüfung des Plagiatsverdachts und seine Auswirkungen und die damit verbundenen Eingriffe in sein berufliches Umfeld sind von ihm hinzunehmen. Unnötige und außer Verhältnis zu dem verfolgten Zweck stehende Belastungen des Antragsteller sind nicht ersichtlich.
Das Urteil ist rechtskräftig.
(tg)
Quelle: PM des OLG Karlsruhe vom 9.08.2006
Der Antragsteller, ein Arzt, arbeitet derzeit an einer Universitätsklinik und ist seit mehr als 10 Jahren auch in der Forschung tätig. Er ist mit nahezu 70 Veröffentlichungen hervorgetreten. In einem von der Antragsgegnerin Ziffer 1 verlegten Blatt erschien im Jahr 2005 ein vom Antragsgegner Ziffer 2 verfasster Artikel mit der Überschrift: „Der Publikator“, in dem gegen den Antragsteller Plagiatsvorwürfe erhoben wurden.
Anfang 2006 mussten die Antragsgegner eine diese Vorwürfe zurückweisende Gegendarstellung abdrucken. Danach verfasste der Antragsgegner Ziffer 2, der Autor des ursprünglichen Artikels, unter Verwendung von Geschäftspapier des Verlages zwei an die Universitätsklinik gerichtete Schreiben, in denen er unter Hinweis auf den ursprünglichen Artikel und mit dem Zusatz, es hätten sich neue Gesichtspunkte ergeben, Gesprächswünsche mit dem Antragsteller und zwei seiner Vorgesetzten mitteilte. Nach erfolglosen schriftlichen Abmahnungen durch den Antragsteller hat sich der Antragsgegner Ziffer 2 unmittelbar mit Fragen an einen der Vorgesetzten des Antragstellers gewandt. Daraufhin hat der Antragsteller beim Landgericht Freiburg den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, mit der es den Antragsgegnern untersagt werden solle, Vorgesetzte, Arbeitgeber oder Mitarbeiter anzuschreiben oder zu kontaktieren und hierbei auf diesen Artikel Bezug zu nehmen.
Das Landgericht Freiburg hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers zum Oberlandesgericht Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - blieb ohne Erfolg.
II. Entscheidung des Gerichts:
Die vom Antragsteller beanstandeten Verhaltensweisen der Antragsgegner sind geeignet, die private und berufliche Reputation des Antragstellers zu beeinträchtigen und stellen deshalb einen Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und in sein Recht auf freie Berufsausübung dar.
Beschränkt wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch die verfassungsmäßige Ordnung einschließlich der Rechte anderer, dazu gehört auch das Grundrecht der Pressefreiheit.
Von einem Informationsinteresse getragene Recherchemaßnahmen sind hinzunehmen
Die Pressefreiheit gewährleistet aber nicht nur die Freiheit, Nachrichten und Meinungen zu verbreiten, sie umfasst vielmehr auch den gesamten Bereich der publizistischen Vorbereitungstätigkeiten, zu der insbesondere auch die Beschaffung von Informationen gehört. Diese grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Presse einerseits und des Antragstellers andererseits sind wie stets bei widerstreitenden Grundrechten gegeneinander abzuwägen und in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Das Informationsinteresse der Presse hängt mit deren öffentlicher Aufgabe zusammen, die Öffentlichkeit zu informieren und zur Meinungsbildung beizutragen. Dabei ist es weitgehend Sache der Presse selbst, darüber zu entscheiden, was sie des öffentlichen Interesses für wert hält und was nicht. Recherchemaßnahmen, die das Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen berühren, sind demnach dann gerechtfertigt, wenn sie von einem vertretbaren Informationsinteresse getragen sind, es genügt, wenn einem auch nur schwachen Verdacht nachgegangen wird.
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Senat festgestellt, dass hier die Recherchemaßnahmen rechtmäßig sind und nicht unterlassen werden müssen. Rechtswidrig wären sie dann, wenn sie eine Racheaktion auf die Verpflichtung zum Abdruck der Gegendarstellung darstellten. Hierfür ist aber nichts ersichtlich. Die Kontaktaufnahme der Antragsgegner mit Arbeitgebern, Vorgesetzten und Kollegen hatte vielmehr den Zweck, den Plagiatsvorwurf nachzurecherchieren und zu überprüfen, wieweit die Veröffentlichungen des Antragstellers für seinen beruflichen Lebensweg von Bedeutung sind. Ein anzuerkennendes Interesse der Fachöffentlichkeit an diesen Fragen ist zu bejahen. Eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit konnte der Senat nicht feststellen. Der Umstand, dass in zwei Fällen die Herausgeber medizinischer Fachzeitschriften sich für die Veröffentlichung eines vom Antragsteller und einem Mitautor stammenden Artikels bei den Lesern mit der Begründung entschuldigten, Passagen seien zu einem Artikel zweier anderer Autoren sehr ähnlich bzw. erhebliche Teile seien einem anderen Manuskript entnommen, stellen starke Verdachtsmomente dar, die Anlass zu einer Recherche zum Thema geistiges Eigentum geben können. Da der Antragsteller mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen hervorgetreten ist, muss er sich wie jeder andere Autor eine Überprüfung seiner Werke dahingehend gefallen lassen, ob es sich dabei um eigene geistige Leistungen gehandelt hat. Eine Überprüfung des Plagiatsverdachts und seine Auswirkungen und die damit verbundenen Eingriffe in sein berufliches Umfeld sind von ihm hinzunehmen. Unnötige und außer Verhältnis zu dem verfolgten Zweck stehende Belastungen des Antragsteller sind nicht ersichtlich.
Das Urteil ist rechtskräftig.
(tg)
Quelle: PM des OLG Karlsruhe vom 9.08.2006
Online seit: 09.08.2006
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