Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 26.04.2018 - I ZR 248/16
Abmahnaktion II - Zur Prüfung des Vorliegens der missbräuchlichen Rechtsverfolgung im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG durch eine Abmahntätigkeit
UWG §§ 8 Abs. 4, 9, 12 Abs. 1 Satz 2
Leitsätze:*1. Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG ist die Geltendmachung der in § 8 Abs. 1 UWG bezeichneten Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung wegen einer nach § 3 UWG unzulässigen geschäftlichen Handlung unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Ist eine vorgerichtliche Abmahnung rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG, so sind nachfolgende gerichtliche Anträge auf Beseitigung und Unterlassung unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 15.12.2011 - I ZR 174/10 - Bauheizgerät; BGH, Urteil vom 03.03.2016 - I ZR 110/15 - Herstellerpreisempfehlung bei Amazon). Von einem Missbrauch im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG ist insoweit auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind. Diese müssen allerdings nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Es reicht aus, dass die sachfremden Ziele überwiegen. Die Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs erfordert dabei eine sorgfältige Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände. Ein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung kann sich daraus ergeben, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht, der Anspruchsberechtigte die Belastung des Gegners mit möglichst hohen Prozesskosten bezweckt oder der Abmahnende systematisch überhöhte Abmahngebühren oder Vertragsstrafen verlangt (BGH, Urteil vom 03.03.2016 - I ZR 110/15 - Herstellerpreisempfehlung bei Amazon). Weiteres Indiz für ein missbräuchliches Vorgehen ist es, wenn der Abmahnende an der Verfolgung des beanstandeten Wettbewerbsverstoßes kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse haben kann, sondern seine Rechtsverfolgung aus der Sicht eines wirtschaftlich denkenden Gewerbetreibenden allein dem sachfremden Interesse der Belastung seiner Mitbewerber mit möglichst hohen Kosten dient. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Abmahngeschäft "in eigener Regie" betreibt, allein um Gebühreneinnahmen durch die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen zu erzielen (vgl. BGH, Urteil vom 05.10.2000 - I ZR 237/98 - Vielfachabmahner; BGH, Urteil vom 06.10.2011 - I ZR 42/10, MIR 2012, Dok. 007 - Falsche Suchrubrik).
2.
a) Eine missbräuchliche Rechtsverfolgung im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG liegt grundsätzlich vor, wenn mit einer Vielzahl von Abmahnungen ein im Verhältnis zum Jahresgewinn des Abmahnenden existenzbedrohender Verfolgungsaufwand verbunden ist, und für ihn an der Rechtsverfolgung kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse besteht.
b) Bei der für die Prüfung einer missbräuchlichen Rechtsverfolgung durch Massenabmahnungen gegenüber Händlern erforderlichen Gesamtbetrachtung der maßgeblichen Umstände kann zu berücksichtigen sein, dass der Abmahnende wegen der von ihm beanstandeten Werbeaussagen bereits eine einstweilige Verfügung gegen den Hersteller erwirkt hat.
c) Fehlt jedes wirtschaftlich nennenswerte Interesse an der Rechtsverfolgung, so entfällt die Indizwirkung einer im Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit sehr umfangreichen Abmahntätigkeit für einen Rechtsmissbrauch nicht dadurch, dass der Abmahnende sich zuvor bemüht hat, die Wettbewerbsverstöße ohne ausufernde Abmahntätigkeit einfach und kostengünstig abzustellen.
3. Eine missbräuchliche Abmahnung ist nicht berechtigt im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG und begründet entsprechend keinen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen (BGH, Urteil vom 15.12.2011 – I ZR 174/10 - Bauheizgerät).
4. Testkäufe zur Vorbereitung rechtsmissbräuchlicher Abmahnungen oder Unterlassungsklagen dienen keiner zweckentsprechenden Rechtsverfolgung. Für solche Testkäufe ist ein Antrag auf Schadensersatz nach § 9 UWG daher unbegründet (vgl. BGH, Urteil vom 30.03.2017 - I ZR 263/15 - BretarisGenuair).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 27.12.2018
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2904
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