Rechtsprechung // Urheberrecht
BGH, Urteil vom 17.12.2020 - I ZR 228/19
Saints Row - Der Internet-Anschlussinhaber ist nicht dazu verpflichtet, den Rechtsinhaber vorgerichtlich über den ihm bekannten Täter einer Urheberrechtsverletzung aufzuklären
BGB §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, §§ 677, 683 Satz 1, 826; UrhG § 97a Abs. 3
Leitsätze:*1. Zwischen dem Rechtsinhaber, dessen urheberrechtlich geschütztes Werk ohne seine Zustimmung über eine Internettauschbörse öffentlich zugänglich gemacht wird, und dem hierfür nicht als Täter, Teilnehmer oder Störer verantwortlichen Inhaber des Internetanschlusses, über den die Urheberrechtsverletzung begangen worden ist, besteht regelmäßig keine gesetzliche Sonderverbindung, die den Anschlussinhaber dazu verpflichtet, den Rechtsinhaber vorgerichtlich über den ihm bekannten Täter der Urheberrechtsverletzung aufzuklären.
2. Eine Aufklärungspflicht des Internet-Anschlussinhabers über ihm bekannte Täter einer Urheberrechtsverletzung ergibt sich grundsätzlich weder aus einem mit dem Rechteinhaber geschlossenen Unterlassungsvertrag noch aus Verschulden bei Vertragsschluss. Ebenfalls besteht auch keine andere gesetzliche Sonderverbindung, die Grundlage für eine Aufklärungspflicht des Internet-Anschlussinhabers sein könnte. Ein Anspruch aus § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung) ist regelmäßig gleichfalls ausgeschlossen. Das Unionsrecht erfordert die Anerkennung einer gesetzlichen Sonderverbindung zwischen dem Rechtsinhaber und dem Anschlussinhaber ebenfalls nicht.
3. Berechtigte Ansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb können eine - durch die Abmahnung konkretisierte - wettbewerbsrechtliche Sonderbeziehung eigener Art begründen, die in besonderem Maße durch Treu und Glauben und das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme bestimmt wird. Daraus können sich abhängig von den konkreten Umständen Pflichten zur Aufklärung ergeben, insbesondere wenn dem anderen Teil als Folge des Verhaltens des Verletzers Kostenschäden drohen, die durch die Aufklärung unschwer zu vermeiden sind.
Auch eine urheberrechtliche Verletzungshandlung oder die Verantwortlichkeit als Störer lassen grundsätzlich eine gesetzliche Sonderbeziehung entstehen, die weitergehende Pflichten mit sich bringen kann. Dabei steht einer Übertragung der für das Wettbewerbsrecht entwickelten Grundsätze nicht entgegen, wenn es sich beim Inanspruchgenommenen um eine Privatperson handelt. Die Urheberrechtsverletzung ist eine deliktische Handlung, die auch gegenüber Privaten eine rechtliche Sonderverbindung auf Grundlage eines gesetzlichen Schuldverhältnisses begründen kann. Ohne Bestehen eines gesetzlichen Unterlassungsanspruchs führt die Abmahnung hingegen regelmäßig nicht zu einer Sonderbeziehung und darauf bezogenen Pflichten nach § 242 BGB. Der zu Unrecht Abgemahnte ist daher grundsätzlich nicht verpflichtet, den Abmahnenden vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens über den wirklichen Sachverhalt aufzuklären.
4. Im Prozess spricht eine tatsächliche Vermutung für die Täterschaft des Anschlussinhabers, wenn zum Zeitpunkt der Urheberrechtsverletzung keine anderen Personen diesen Internetanschluss benutzen konnten. Eine diese tatsächliche Vermutung ausschließende Nutzungsmöglichkeit Dritter ist anzunehmen, wenn der Internetanschluss zum Verletzungszeitpunkt nicht hinreichend gesichert war oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde. In solchen Fällen trifft den Inhaber des Internetanschlusses jedoch eine sekundäre Darlegungslast. Die tatsächliche Vermutung beruht auf allgemeinen Erfahrungssätzen; ihr kommt allein prozessrechtliche Bedeutung im Rahmen der Beweiswürdigung zu. Auch begründet die sekundäre Darlegungslast keine über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehende Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 08.03.2021
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3061
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