Rechtsprechung // Zivilrecht
OLG Hamm, Urteil vom 22.02.2024 - 22 U 29/23
In dem beA-Postfach ist eine Nachricht eingegangen! - Zum Zugang eines über das besondere elektronische Anwaltspostfach gesendeten Schreibens
BGB, §§ 130, 177
Leitsätze:*1. Gemäß § 130 BGB ist eine Willenserklärung dann zugegangen, wenn sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er unter normalen Umständen von ihrem Inhalt Kenntnis nehmen kann (vgl. ständige Rspr. z.B. BGH, Urteil vom 26.11.1998 - VIII ZR 22/97). Eine während der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit eingegangene E-Mail geht - zumindest im unternehmerischen Geschäftsverkehr - grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zu; dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang somit nicht erforderlich, vgl. BGH, Urteil vom 06.10.2022 - VII ZR 895/21; dazu auch Gramespacher, BB 2022, 2639). Dies gilt auch für die Zusendung eines Schreibens per beA.
2. Sendet ein Rechtsanwalt über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an einen anderen Rechtsanwalt ein Schreiben, ist dieses dem Empfänger zugegangen, wenn das Dokument auf dem Server für den Empfänger abrufbereit während seiner üblichen oder etwaig darüber hinaus nach außen bekannt gegebenen Büroöffnungszeiten eingeht. Unerheblich für den Zugangszeitpunkt ist, wann die Benachrichtigungs-Email über den Eingang beim empfangenden Rechtsanwalt auf seinem E-Mail-Server eingegangen ist.
3. Tritt bei einem notariellen Grundstückskaufvertrag für einen Vertragspartner ein vollmachtlos handelnder Vertreter auf und fordert der andere Teil den Vertretenen gem. § 177 Abs. 2 BGB zur Erklärung über die Genehmigung auf, dann ist die Genehmigung dem Auffordernden nicht dadurch zugegangen, dass sie beim beurkundenden Notar eingegangen ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Notar auch für diesen Fall zur Entgegennahme bevollmächtigt ist (vorliegend verneint).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 28.03.2024
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3356
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