Rechtsprechung // Urheberrecht
OLG Köln, Urteil vom 26.01.2024 - 6 U 89/23
Fußgymnastiksandalen - Zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Birkenstock-Sandalen als Werke der angewandten Kunst (hier verneint)
UrhG §§ 97 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2
Leitsätze:*1. Sandalen sind potentiell urheberrechtsschutzfähig. Zu den urheberrechtlich geschützten Werken gehören insoweit nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG auch Werke der angewandten Kunst, die sich von der reinen Kunst durch ihren Gebrauchszweck unterscheiden. Der Gebrauchszweck eines Gegenstandes steht der Einordnung als Werk nicht entgegen, er deutet jedoch an, ob und inwieweit seine Form vorgegeben oder technisch bedingt ist und lediglich einer schutzlosen Durchschnittsleistung entspricht. Insoweit muss exakter als bei reinen Kunstwerken herausgestellt werden, inwieweit der Gebrauchsgegenstand über seine von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet ist. Bei industriell gefertigten Massenprodukten des täglichen Lebens wird man daher kunstgewerblichem Kitsch eher Urheberschutz zubilligen können, als einem funktional-wertvollen Design.
2. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG gehören Werke der bildenden Kunst einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke zu den urheberrechtlich geschützten Werken, sofern sie nach § 2 Abs. 2 UrhG persönliche geistige Schöpfungen sind. Eine persönliche geistige Schöpfung ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer "künstlerischen" Leistung gesprochen werden kann. Dabei kann die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz nur begründen, soweit sie auf einer künstlerischen Leistung beruht und diese zum Ausdruck bringt. In der Sache entsprechen diese Maßstäbe dem unionsrechtlichen Begriff des urheberrechtlich geschützten Werks im Sinne der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft. Dabei handelt es sich um einen autonomen Begriff des Unionsrechts, der in der gesamten Union einheitlich auszulegen und anzuwenden ist.
3. Für eine Einstufung eines Objekts als Werk müssen zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt. Ein Gegenstand ist ein Original, wenn er die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidung zum Ausdruck bringt. Davon kann nicht ausgegangen werden, wenn die Schaffung eines Gegenstandes durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt wurde, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben. Zum anderen ist die Einstufung als Werk Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen (BGH, Beschluss vom 21.12.2023, I ZR 96/22 - USM Haller; vgl. dazu: MIR 2023, Dok. 085, Rz. 1; BGH, Urteil vom 07.04.2022, I ZR 222/20 - Porsche 911; BGH, Urteil vom 29.04.2021, I ZR 193/20 - Zugangsrecht des Architekten; BGH, Urteil vom 13.11.2013, I ZR 143/12, MIR 2013, Dok. 097 - Geburtstagszug; BGH, Urteil vom 12.05.2011, I ZR 53/10 - Seilzirkus; EuGH, Urteil vom 11.06.2020, C-833/18 - Brompton Bicycle; EuGH, Urteil vom 12.09.2019, C-683/17 - Cofemel).
4. Für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit einer Gesundheitssandale als ein Werk der angewandten Kunst genügt es nicht, dass ein in technisch-funktionaler Hinsicht bestehender Gestaltungsspielraum ausgenutzt worden ist; erforderlich ist vielmehr, dass der bestehende Spielraum über die durch die Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch ausgestaltet wird.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 04.02.2024
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3340
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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