Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.05.2023 - I-20 W 36/23
Angemessene Reaktionsfrist - Innerhalb der Dringlichkeitsfrist hat der Antragsteller dem späteren Antragsgegner eine Abmahnung zu übersenden und ihm eine angemessene Zeit zur Antwort einzuräumen
UWG § 12 Abs. 1; ZPO § 935 ZPO
Leitsätze:*1. Die Dringlichkeitsfrist zwischen der Kenntnisnahme von der Verletzungshandlung und dem Eingang des Verfügungsantrages bei Gericht beträgt regelmäßig zwei Monate, wobei zu beachten ist, dass diese - im Verhältnis zur Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte - verhältnismäßig lange Dringlichkeitsfrist nur damit zu rechtfertigen ist, dass der jeweilige Antragsteller innerhalb dieser Frist den Antragsgegner abgemahnt und ihm eine angemessene Frist zur Stellungnahme auf die Abmahnung eingeräumt haben muss.
2. Ob die mit einer Abmahnung gesetzte Stellungnahmefrist angemessen ist, ist nach der Lage des Einzelfalls zu bestimmen (hier: Eine Frist von effektiv vier Werktagen wurden einzelfallbezogen als unangemessen kurz erachtet; wird ausgeführt - vgl. auch Anm. der Redaktion).
3. Innerhalb der Dringlichkeitsfrist hat der Antragsteller dem späteren Antragsgegner eine Abmahnung zu übersenden und ihm zur Reaktion eine angemessene Zeit zur Antwort einzuräumen.
Hier hatte die Antragstellerin die Antragsgegnerinnen mit - per Email und Kurier versandtem - Schreiben vom 04.04.2023 abgemahnt, ihnen eine Frist zur Abgabe der der Abmahnung beigefügten strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung bis zum 12.04.2023, 12 Uhr Ortszeit Düsseldorf, gesetzt und diese Frist auf Bitten der Antragsgegnerinnen auf den 12.04.2023, close of business, verlängert. Da sich innerhalb der gesetzten Frist das Osterwochenende befand - mit den beiden Feiertagen Karfreitag am 07.04.2023 und Ostermontag am 10.04.2023 - umfasste die den Antragsgegnerinnen gesetzte Frist insgesamt lediglich dreieinhalb bzw. - nach Fristverlängerung - vier Werktage. Dies bewertete das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Sachverhalts als zu kurz und damit nicht angemessen. Vielmehr hätte - so das Gericht - die Frist hier mindestens sieben, eher 10 bis 14 Tage betragen müssen, um den Antragsgegnerinnen eine Prüfung der Wettbewerbswidrigkeit der abgemahnten Werbung einschließlich einer Rücksprache mit ihren anwaltlichen Beratern und ggf. notwendigen Übersetzungen zu ermöglichen, wobei zusätzlich zu berücksichtigen sei, dass sich in der sogenanntgen Karwoche unmittelbar vor und nach den Osterfeiertagen oftmals Urlaubsabwesenheiten ergeben.
Trotz dieser differenzierten (nachvollziehbaren und wohl gerechtfertigten) Angemessenheitsprüfung ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass sich auf Sicht eine solch weniger schematische Beurteilung der Fristen im Wettbewerbsrecht wird durchsetzen können. Perse herrscht hier doch die Wertung vor, dass immer alles ganz schnell gehen muss, ganz dringend und ungemein kritisch ist. Die "Druck-Zweck-Mittel-Relation" wird hier freilich gepflegt und aufrechterhalten werden.
Nichts desto trotz ist es gut, bei Gelegenheit und wenn der Fall entsprechend Möglichkeit bietet, auf eine gewisse Kasuistik zurückgreifen und diese in Beziehung setzen zu können. Nach § 13 UWG soll der Berechtigte den Schuldner grundsärtzlich vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens abmahnen und ihm Gelegenheit geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen. Wird abgemahnt muss diese "Gelegenheit" in Ansehnung des Einzelfalls freilich auch "ergreifbar" sein und sich unter dem Aspekt der Frist nicht in einer bloß theroretischen Möglichkeit und Förmelei erschöpfen. Ist eine Frist zu kurz bemessen, tritt grundsätzlich eine angemessene Frist an deren Stelle. Der (dann ggf. gerichtliche) Streit über die Frage der Angemessenheit birgt wohl für Abgemahnten und Abmahnenden gleichmaßen ein gewisses - indes mit ein wenig konstruktiver und letztlich lösungsorientierter Sicht auf die Fristen vermeidbares - Risiko (vgl. insg. Bornkamm/Feddersen in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG 41. Auflage 2023, Rn. 21, 22).
Zu einer ähnlichen Thematik kürzlich KG, Beschluss vom 18.07.2023 - 10 W 79/23, MIR 2023, Dok. 077 im Bereich des KunstUrhG/Persönlichkeitsrechts. (RA Thomas Ch. Gramespacher, Bonn)
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 27.11.2023
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3322
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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