Kurz notiert // Telemedienrecht
Oberlandesgericht Karlsruhe
Verstoß gegen "Gemeinschaftsstandards" - Facebook darf Nutzeraccount nur in Ausnahmefällen ohne vorherige Abmahnung kündigen
OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.02.2022 - 10 U 17/20; Vorinstanz: LG Mannheim, 24.6.2020 - 14 O 140/19
MIR 2022, Dok. 011, Rz. 1
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Das Oberlandesgerichts Karlsruhe (10. Zivilsenat) hat mit Urteil vom 04.02.2022 (10 U 17/20) die Berufung eines Facebook-Nutzers gegen ein klageabweisendes Urteil des Landgerichts Mannheim vom 24.06.2020 (14 O 140/19) - u.a. wegen der Deaktivierung bzw. Kündigung des Nutzeraccounts wegen Verstoßes gegen "Gemeinschaftsstandards" - weitgehend bestätigt.
Zur Sache:
Facebook hatte im Sommer 2019 in zwei Fällen Beiträge des Klägers mit Bezug zur sogenannten "Identitären Bewegung" gelöscht und das Nutzerkonto des Klägers jeweils vorübergehend gesperrt. Nach einem weiteren Posting des Klägers im Januar 2020 wurde sein Account dauerhaft deaktiviert. Dafür hatte sich das soziale Netzwerk auf Verstöße des Klägers gegen die Nutzungsbedingungen in Verbindung mit den "Gemeinschaftsstandards" berufen, die unter anderem die Unterstützung von "Hassorganisationen" verbieten.
Die Klage auf Unterlassung dieser Löschungen und vorübergehenden Kontensperrungen sowie auf eine Reaktivierung des Nutzerkontos hatte in zweiter Instanz überwiegend Erfolg.
Entscheidung des Gerichts: Löschung von Beiträgen und vorübergehende Sperrung des Accounts waren unzulässig
Hinsichtlich der Löschung von Beiträgen und der vorübergehenden Sperrung des Accounts hat der Senat festgestellt, dass diese Maßnahmen nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von "Facebook" in der maßgeblichen Fassung vom 19.04.2018 unzulässig gewesen seien. Zwar sei der Anbieter eines sozialen Netzwerks dazu berechtigt, seinen Nutzerinnen und Nutzern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Einhaltung objektiver und überprüfbarer Kommunikationsstandards vorzugeben, auch wenn diese über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Er dürfe sich dabei auch das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen die Kommunikationsstandards einzelne Beiträge zu entfernen oder den Netzwerkzugang zu sperren.
Nutzer muss angemessen informiert und beteiligt werden
Der Anbieter des sozialen Netzwerks müsse jedoch in seinen Geschäftsbedingungen sicherstellen, dass der Nutzer über die Entfernung eines Beitrags jedenfalls unverzüglich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung des Nutzerkontos vorab informiert und ihm der Grund dafür mitgeteilt wird. Der Nutzer müsse dann die Möglichkeit zur Stellungnahme haben, an die sich eine erneute Entscheidung des Anbieters mit der Option anschließt, einen entfernten Beitrag auch wieder zugänglich zu machen. Diesen Anforderungen würde die maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen von "Facebook" nicht gerecht, weil darin kein verbindliches Verfahren vorgesehen ist, innerhalb dessen die von der Entfernung von Beiträgen und der Sperrung ihres Kontos betroffenen Nutzer Stellung nehmen können. Die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen habe der Senat daher für unwirksam erachtet und sich mit dieser Einschätzung bereits ergangenen Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 29.07.2021 (III ZR 179/20 und III ZR 192/20) angeschlossen.
Ausnahme: Löschung strafbarer Inhalte und Maßnahmen entsprechend TMG und NetzDG
Nur wenn der Kläger strafbare Inhalte gepostet hätte, was aber nicht der Fall sei, wäre eine Löschung dieser Beiträge und eine Sperrung des Nutzerkontos dennoch möglich gewesen. Denn bei strafbaren Inhalten seie der Anbieter eines sozialen Netzwerks bereits aufgrund der gesetzlichen Vorgaben im Telemediengesetz und im Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu entsprechenden Maßnahmen verpflichtet.
Grundsätzlich ist eine "Abmahnung" erforderlich - Kündigung des Nutzungsvertrags hier ebenfalls unzulässig
Auch die Kündigung des Nutzungsvertrags durch "Facebook" sei nicht zulässig gewesen. Zwar dürfe ein Nutzungsvertrag bei Verstößen gegen Kommunikationsstandards beendet werden, wenn dafür ein wichtiger Grund vorliegt. Eine vorherige Abmahnung sei aber nur in eng begrenzten Ausnahmefällen entbehrlich, etwa bei besonders gravierenden Vertragsverletzungen oder bei offensichtlicher Zwecklosigkeit der Abmahnung. Für einen interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen der Parteien sei es in der Regel erforderlich, dass der Nutzer vorab über die beabsichtigte Kündigung des Nutzervertrags informiert, ihm den Grund hierfür mitgeteilt und ihm eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt werde.
Löschungen und Sperrungen hier nicht als "Abmahnung" einzuordnen
In dem zu entscheidenden Fall hatte "Facebook" vor der Kündigung des Nutzungsvertrags nicht wirksam abgemahnt. Die vorangegangenen Beitragslöschungen und Kontosperrungen seien wegen der festgestellten Unwirksamkeit des Entfernungs- und Sperrungsvorbehalts in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen rechtswidrig gewesen und auch keine ordnungsgemäße Abmahnung. Die Abmahnung sei auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Eine endgültige und ernsthafte Weigerung des Klägers, sich künftig an die vertraglichen Vereinbarungen zu halten, oder sonstige besondere Umstände, die eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch ohne vorherige Abmahnung unzumutbar erscheinen ließen, lägen nicht vor. Insbesondere enthielten die Beiträge des Klägers keinen strafbaren Inhalt, so das Gericht. Eine besonders gravierende Vertragsverletzung sei daher nicht gegeben.
Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen.
(tg) - Quelle: PM Nr. 3/22 des OLG Karlsruhe vom 04.02.2022
Zur Sache:
Facebook hatte im Sommer 2019 in zwei Fällen Beiträge des Klägers mit Bezug zur sogenannten "Identitären Bewegung" gelöscht und das Nutzerkonto des Klägers jeweils vorübergehend gesperrt. Nach einem weiteren Posting des Klägers im Januar 2020 wurde sein Account dauerhaft deaktiviert. Dafür hatte sich das soziale Netzwerk auf Verstöße des Klägers gegen die Nutzungsbedingungen in Verbindung mit den "Gemeinschaftsstandards" berufen, die unter anderem die Unterstützung von "Hassorganisationen" verbieten.
Die Klage auf Unterlassung dieser Löschungen und vorübergehenden Kontensperrungen sowie auf eine Reaktivierung des Nutzerkontos hatte in zweiter Instanz überwiegend Erfolg.
Entscheidung des Gerichts: Löschung von Beiträgen und vorübergehende Sperrung des Accounts waren unzulässig
Hinsichtlich der Löschung von Beiträgen und der vorübergehenden Sperrung des Accounts hat der Senat festgestellt, dass diese Maßnahmen nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von "Facebook" in der maßgeblichen Fassung vom 19.04.2018 unzulässig gewesen seien. Zwar sei der Anbieter eines sozialen Netzwerks dazu berechtigt, seinen Nutzerinnen und Nutzern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Einhaltung objektiver und überprüfbarer Kommunikationsstandards vorzugeben, auch wenn diese über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Er dürfe sich dabei auch das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen die Kommunikationsstandards einzelne Beiträge zu entfernen oder den Netzwerkzugang zu sperren.
Nutzer muss angemessen informiert und beteiligt werden
Der Anbieter des sozialen Netzwerks müsse jedoch in seinen Geschäftsbedingungen sicherstellen, dass der Nutzer über die Entfernung eines Beitrags jedenfalls unverzüglich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung des Nutzerkontos vorab informiert und ihm der Grund dafür mitgeteilt wird. Der Nutzer müsse dann die Möglichkeit zur Stellungnahme haben, an die sich eine erneute Entscheidung des Anbieters mit der Option anschließt, einen entfernten Beitrag auch wieder zugänglich zu machen. Diesen Anforderungen würde die maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen von "Facebook" nicht gerecht, weil darin kein verbindliches Verfahren vorgesehen ist, innerhalb dessen die von der Entfernung von Beiträgen und der Sperrung ihres Kontos betroffenen Nutzer Stellung nehmen können. Die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen habe der Senat daher für unwirksam erachtet und sich mit dieser Einschätzung bereits ergangenen Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 29.07.2021 (III ZR 179/20 und III ZR 192/20) angeschlossen.
Ausnahme: Löschung strafbarer Inhalte und Maßnahmen entsprechend TMG und NetzDG
Nur wenn der Kläger strafbare Inhalte gepostet hätte, was aber nicht der Fall sei, wäre eine Löschung dieser Beiträge und eine Sperrung des Nutzerkontos dennoch möglich gewesen. Denn bei strafbaren Inhalten seie der Anbieter eines sozialen Netzwerks bereits aufgrund der gesetzlichen Vorgaben im Telemediengesetz und im Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu entsprechenden Maßnahmen verpflichtet.
Grundsätzlich ist eine "Abmahnung" erforderlich - Kündigung des Nutzungsvertrags hier ebenfalls unzulässig
Auch die Kündigung des Nutzungsvertrags durch "Facebook" sei nicht zulässig gewesen. Zwar dürfe ein Nutzungsvertrag bei Verstößen gegen Kommunikationsstandards beendet werden, wenn dafür ein wichtiger Grund vorliegt. Eine vorherige Abmahnung sei aber nur in eng begrenzten Ausnahmefällen entbehrlich, etwa bei besonders gravierenden Vertragsverletzungen oder bei offensichtlicher Zwecklosigkeit der Abmahnung. Für einen interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen der Parteien sei es in der Regel erforderlich, dass der Nutzer vorab über die beabsichtigte Kündigung des Nutzervertrags informiert, ihm den Grund hierfür mitgeteilt und ihm eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt werde.
Löschungen und Sperrungen hier nicht als "Abmahnung" einzuordnen
In dem zu entscheidenden Fall hatte "Facebook" vor der Kündigung des Nutzungsvertrags nicht wirksam abgemahnt. Die vorangegangenen Beitragslöschungen und Kontosperrungen seien wegen der festgestellten Unwirksamkeit des Entfernungs- und Sperrungsvorbehalts in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen rechtswidrig gewesen und auch keine ordnungsgemäße Abmahnung. Die Abmahnung sei auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Eine endgültige und ernsthafte Weigerung des Klägers, sich künftig an die vertraglichen Vereinbarungen zu halten, oder sonstige besondere Umstände, die eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch ohne vorherige Abmahnung unzumutbar erscheinen ließen, lägen nicht vor. Insbesondere enthielten die Beiträge des Klägers keinen strafbaren Inhalt, so das Gericht. Eine besonders gravierende Vertragsverletzung sei daher nicht gegeben.
Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen.
(tg) - Quelle: PM Nr. 3/22 des OLG Karlsruhe vom 04.02.2022
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 04.02.2022
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3154
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