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Kurz notiert // Datenschutzrecht



Bundesgerichtshof

Keine Klarnamenpflicht bei der Nutzung eines sozialen Netzwerks in bestimmten Fällen

BGH, Urteil vom 27.01.2022 - III ZR 3/21; Vorinstanzen: LG Traunstein, 02.05.2019 - 8 O 3510/18; OLG München, 08.12 2020 - 18 U 2822/19
BGH, Urteil vom 27.01.2022 - III ZR 4/21; Vorinstanzen: LG Ingolstadt, 13.09.2019 - 31 O 227/18; OLG München, 08.12.2020 - 18 U 5493/19

MIR 2022, Dok. 008


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Der Bundesgerichtshof (III. Zivilsenat) hat sich in Urteilen vom 27.01.2022 (III ZR 3/21 und III ZR 4/21) mit der Pflicht des Anbieters eines sozialen Netzwerks befasst, dessen Nutzung unter Pseudonym zu ermöglichen.

Zur Sache

Die Kläger unterhalten jeweils ein Nutzerkonto für ein von der Muttergesellschaft der Beklagten betriebenes weltweites soziales Netzwerk, dessen Anbieter und Vertragspartner für Nutzer mit Sitz in Deutschland die Beklagte ist.

In dem Verfahren III ZR 3/21 hatte der Kläger für seinen Profilnamen ursprünglich ein Pseudonym verwendet. Nachdem er im März 2018 auf Nachfrage nicht bestätigt hatte, dass es sich um seinen im Alltag verwendeten Namen handelt, sperrte die Beklagte sein Nutzerkonto. Sie schaltete es erst nach einer Änderung des Profilnamens wieder frei. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch, Änderungen seines von ihm in dem Netzwerk verwendeten Profilnamens zu verhindern.

In dem Verfahren III ZR 4/21 gab die Klägerin als Profilnamen ebenfalls ein Pseudonym an. Ihr Nutzerkonto wurde von der Beklagten im Januar 2018 gesperrt, nachdem sie der Aufforderung, ihren Profilnamen zu ändern, nicht nachgekommen war. Die Klägerin begehrt die Aufhebung dieser Sperrung.

In dem Verfahren III ZR 3/21 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. In dem Verfahren III ZR 4/21 hat das Landgericht die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, das Nutzerkonto der Klägerin freizuschalten und ihr unbeschränkten Zugriff auf die Funktionen des Kontos zu gewähren. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen der Kläger hatten überwiegend Erfolg.

Im Verfahren III ZR 3/21 wurde das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt, es zu dulden, dass der Kläger seinen Profilnamen in ein Pseudonym ändert, und dem Kläger unter Verwendung des gewählten Profilnamens Zugriff auf die Funktionen seines Nutzerkontos zu gewähren.

Klarnahmenpflicht nur im Innenverhältnis

Nach den für diesen Fall maßgeblichen Nutzungsbedingungen vom 19.04.2018 hat der Kontoinhaber bei der Nutzung des Netzwerks den Namen zu verwenden, den er auch im täglichen Leben verwendet. Diese Bestimmung sei unwirksam, weil sie den Kläger zum Zeitpunkt ihrer Einbeziehung in den Nutzungsvertrag der Parteien am 30.04.2018 entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige. Die Bestimmung sei mit dem in § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG in der bis zum 30.11.2021 geltenden Fassung zum Ausdruck kommenden Grundgedanken, dass der Diensteanbieter die Nutzung der Telemedien anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen hat, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist, nicht zu vereinbaren. Eine umfassende Würdigung und Abwägung der wechselseitigen Interessen unter Einbeziehung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Richtlinie) ergebe, dass es der Beklagten zwar nicht zumutbar gewesen sei, die Nutzung des Netzwerks zu ermöglichen, ohne dass der jeweilige Nutzer ihr zuvor - etwa bei der Registrierung - im Innenverhältnis seinen Klarnamen mitgeteilt hatte. Für die anschließende Nutzung der von ihr angebotenen Dienste unter Pseudonym sei die Zumutbarkeit jedoch zu bejahen.

Die Unwirksamkeit der Bestimmung zur Klarnamenpflicht führe dazu, dass die Bestimmung ersatzlos wegfällt. In der Folge habe der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch darauf, das Netzwerk unter einem Pseudonym zu nutzen.

Im Verfahren III ZR 4/21 hat das Gericht das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und - unter Zurückweisung der Revision im Übrigen - die Beklagte verurteilt, das Nutzerkonto der Klägerin freizuschalten und der Klägerin unbeschränkten Zugriff auf die Funktionen dieses Kontos zu gewähren.

Unterlassungstitels nach dem UKlaG "schlägt durch"

Die Beklagte könne von der Klägerin nicht verlangen, ihren Profilnamen in ihren wahren Namen zu ändern. Die Bestimmung zur Klarnamenpflicht in den hier maßgeblichen Nutzungsbedingungen der Beklagten zum Stand 30.01.2015 sei ebenfalls unwirksam. Diese Bedingungen enthalten eine Regelung, wonach die Nutzer ihre wahren Namen und Daten anzugeben haben. Von der Unwirksamkeit dieser Bestimmung sei hier bereits gemäß § 11 Satz 1 UKlaG aufgrund des Unterlassungsurteils des Landgerichts Berlin vom 16.01.2018 (16 O 341/15) in einem Verbandsklageverfahren auszugehen. Die Beklagte dürfe sich danach bei der Abwicklung von Verträgen über die Teilnahme an einem sozialen Netzwerk mit Verbrauchern, die ihren ständigen Aufenthaltsort in Deutschland haben, nicht auf Bestimmungen berufen, die der hier verwendeten Bestimmung zur Klarnamenpflicht entsprechen. In der Folge könne die Klägerin von der Beklagten die Freischaltung ihres Nutzerkontos und Zugriff auf dessen Funktionen verlangen.

Datenschutz-Grundverordnung (noch) nicht relevant

In beiden Verfahren kam es für die Entscheidung auf die Vorgaben der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.04.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung - DSGVO) nicht an, weil diese erst seit dem 25.05.2018 gilt und es für die Rechtslage auf den Zeitpunkt der Einbeziehung der jeweiligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen in das Vertragsverhältnis ankomme.

(tg) - Quelle: PM Nr. 013/2022 des BGH vom 27.01.2022

Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 27.01.2022
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3151
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