Rechtsprechung // Zivilrecht
BGH, Urteil vom 20.12.2018 - I ZR 133/17
Neuausgabe - Zur Unangemessenheit einer AGB, die den Verlag eines juristischen Großkommentars berechtigten soll, die Zusammenarbeit mit einem Kommentator für eine Neuausgabe ohne sachlichen Grund und Mitteilung dessen abzulehnen
BGB § 307 Abs. 1 Satz 1
Leitsätze:*1. Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Voraussetzung ist dabei eine Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders von einigem Gewicht. Eine solche Benachteiligung ist im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen, wenn der Verwender durch eine einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist mittels einer umfassenden Würdigung der Art des konkreten Vertrags, der typischen Interessen der Vertragschließenden und der die jeweilige Klausel begleitenden Regelung zu beurteilen (BGH, Urteil vom 20.12.2018 - I ZR 104/17, MIR 2019, Dok. 005 - Museumsfotos, mwN).
2. Eine Allgemeine Geschäftsbedingung, nach der der Verlag eines juristischen Großkommentars berechtigt ist, eine Erstreckung der vertraglichen Zusammenarbeit auf eine Neuausgabe abzulehnen, ohne dass dafür ein sachlicher Grund vorliegt und dem Kommentator mitgeteilt wird, kann sich als ein hinreichend bedeutsamer Nachteil im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellen, der sich bei umfassender Würdigung der relevanten Umstände als unangemessen erweist.
3. Nach Treu und Glauben ergibt sich das schützenswerte Interesse des Kommentators eines juristischen Großkommentars, dass seine grundsätzlich berechtigte Erwartung, bei einer Folgeausgabe wieder berücksichtigt zu werden, vom Verlag nicht aus sachfremden Erwägungen, sondern allenfalls dann enttäuscht werden darf, wenn ein sachlicher, den Anforderungen gemäß § 314 Abs. 1, § 626 Abs. 1 BGB genügender Grund vorliegt und ihm gegenüber auch angegeben wird, damit er seine möglicherweise abweichende Sicht der Dinge angemessen darstellen und so auf die endgültige Willensbildung des Verlags einwirken kann (hier: verneint).
Die Entscheidung wurde vom BGH erst mit Datum vom 16.02.2021 veröffentlicht, da der Kläger wohl in bemerkenswerter Weise darauf hingewirkt hat, dass der Entscheidungstext - durchaus - überobligatorisch "anonymisiert" wird (inklusive Verwaltungsverfahren: vgl. VGH Baden-Württemberg, 10.07.2020 - 2 S 623/20, https://dejure.org/2020,20502). Man ist provoziert hier etwa den "Schutz der persönlichen Befindlichkeiten" dem des Persönlichkeitsrechts gegenüberzustellen. In diesem Zusammenhang ebenfalls interessant, das (jedenfalls aktuell) die Vorinstanzen des Verfahrens an "üblichen Orten" nicht veröffentlicht sind.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 16.02.2021
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3055
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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