Rechtsprechung // Markenrecht
BGH, Urteil vom 26.10.2023 - I ZR 107/22
energycollect.de - Zur unberechtigten Namensanmaßung durch die Aufrechterhaltung einer vor Entstehung des Namensrechts registrierten Internetdomain
EU-Grundrechtecharta Art. 17; GG Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 A; BGB § 12 Satz 1 Fall 2; MarkenG §§ 5, 14, 15, 49 Abs. 1
Leitsätze:*1. Bei der Prüfung einer unberechtigten Namensanmaßung (§ 12 Satz 1 Fall 2 BGB) durch die Aufrechterhaltung einer vor Entstehung des Namensrechts registrierten Internetdomain sind im Rahmen der Interessenabwägung auf Seiten des Domaininhabers nicht nur spezifisch namens- oder kennzeichenrechtliche, sondern sämtliche Interessen an der Aufrechterhaltung der Domainregistrierung zu berücksichtigen, deren Geltendmachung nicht rechtsmissbräuchlich ist. Hierzu zählt auch ein wirtschaftliches Interesse an der Fortführung eines Weiterleitungsgebrauchs, um durch eine Verbesserung der Trefferquote und des Rankings der Zielseite in Suchmaschinen das Besucheraufkommen zu erhöhen (Fortführung von BGH, Urteil vom 24. April 2008 - I ZR 159/05, GRUR 2008, 1099 [juris Rn. 30 bis 34] = WRP 2008, 1520 - afilias.de; Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 6. November 2013 - I ZR 153/12, GRUR 2014, 506 [juris Rn. 30] = WRP 2014, 584 - sr.de).
2. Eine Verkürzung der Abwägung auf namens- oder kennzeichenrechtliche Interessen würde dem eigentumsgrundrechtlichen Schutz der vor Entstehung des Namens- oder Kennzeichenrechts erfolgten Domainregistrierung nicht gerecht.
3. Insoweit wäre auch eine Verkaufsabsicht nicht stets rechtsmissbräuchlich, weil der Handel mit Domainnamen grundsätzlich zulässig und nach Art. 12, 14 GG verfassungsrechtlich geschützt ist, soweit die Registrierung oder Nutzung des Domainnamens keine Namens- oder Kennzeichenrechte Dritter verletzt (vgl. BGH, Urteil vom 19.02.2009 - I ZR 135/06, MIR 2009, Dok. 124 - ahd.de; BGH, Urteil vom 09.11.2011 - I ZR 150/09 - Basler Haar-Kosmetik; zu § 826 BGB vgl. BGH, Urteil vom 02.12.2004 - I ZR 207/01 - weltonline.de).
4. Das Prioritätsprinzip ist ein auch das Markenrecht beherrschender allgemeiner Rechtsgrundsatz. Der Umstand, dass neue Marktteilnehmer wegen der anderweitigen Registrierung eines Domainnamens daran gehindert sind, diesen für ihr Unternehmen zu nutzen, ist Folge des Prioritätsprinzips. Die darin liegende Beeinträchtigung ihrer wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten haben sie daher grundsätzlich hinzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 19.02.2009 - I ZR 135/06, MIR 2009, Dok. 124 - ahd.de; OLG Hamburg, 09.04.2015 - 3 U 59/15). Dient der Gebrauch des Domainnamens wirtschaftlichen Zwecken, die - wie der Weiterleitungsgebrauch - nicht ohne weiteres rechtsmissbräuchlich sind, wäre auch eine sachlich herangezogene Parallele zur Löschung einer Marke wegen Verfalls (§ 49 Abs. 1 MarkenG) nicht tragfähig.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 15.11.2023
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3320
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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