Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 05.11.2020 - I ZR 234/19
Zweitmarkt für Lebensversicherungen - Zur einheitlichen Auslegung des Mitbewerberbegriffs im UWG und der gezielten Mitbewerberbehinderung durch das Ausnutzen eines fremden Vertragsbruchs
UWG § 2 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Nr. 4, § 8 Abs. 3 Nr. 1
Leitsätze:*1. Gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG sind die Mitbewerber grundsätzlich umfassend zur Verfolgung von Abwehr- und Folgeansprüchen aktivlegitimiert. Die Vorschrift unterscheidet nicht danach, ob der vom Wettbewerber begangene Wettbewerbsverstoß allein die Interessen der Mitbewerber, deren Interessen und zugleich die Interessen der Verbraucher oder aber allein die Interessen der Verbraucher beeinträchtigt (vgl. BGH, Urteil vom 10.12.2009 - I ZR 189/07 - Golly Telly). Der Begriff des Mitbewerbers in § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG ist in Fällen der Verletzung verbraucherschützender Vorschriften nicht deshalb einschränkend auszulegen, weil die Verbände nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG die Verletzung verbraucherschützender Normen nur verfolgen können, wenn ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, die Berechtigung eines Verbands zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen auf die kollektive Wahrnehmung von Mitgliederinteressen zu beschränken (zu § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG aF vgl. BGH, Urteil vom 29.09.1994 - I ZR 138/92 - Laienwerbung für Augenoptiker; BGH, Urteil vom 27.02.1997 - I ZR 5/95). Daraus folgt nicht, dass Unternehmer, die zwar keine Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, durch das Verhalten des Anspruchsgegners aber auf eine Art und Weise Nachteile erleiden, dass zu diesem ein konkretes Wettbewerbsverhältnis entsteht, nicht die Verletzung von Normen geltend machen könnten, die unmittelbar dem Schutz von Verbrauchern dienen. Daraus, dass § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG anders als § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG keine Beschränkung der Anspruchsberechtigung auf Mitbewerber vorsieht, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, folgt eher das Gegenteil. Der Sinn und Zweck des § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG erfordert (ebenfalls) keine einschränkende Auslegung (wird ausgeführt).
2.
a) Der Begriff des Mitbewerbers ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG grundsätzlich im gesamten UWG einheitlich auszulegen, so dass an die Mitbewerbereigenschaft im Sinne der mitbewerberschützenden Normen grundsätzlich keine anderen Anforderungen zu stellen sind als an die im Sinne der verbraucherschützenden Normen. Eine Ausnahme von dem Grundsatz der einheitlichen Auslegung des Mitbewerberbegriffs im UWG gilt nur, soweit eine richtlinienkonforme Auslegung dies erfordert.
b) Eine gezielte Behinderung gemäß § 4 Nr. 4 UWG in der Form des Ausnutzens eines fremden Vertragsbruchs kann nur vorliegen, wenn der Anspruchsteller selbst Partei dieses Vertrags ist. In den Fällen des unlauteren Ausspannens von Kunden müssen diese also einen Vertrag mit dem Anspruchsteller brechen.
3. Das Eindringen in einen fremden Kundenkreis und das Ausspannen sowie Abfangen von Kunden gehören grundsätzlich zum Wesen des Wettbewerbs. Eine unlautere Behinderung des Mitbewerbers liegt deshalb erst vor, wenn auf Kunden, die bereits dem Wettbewerber zuzurechnen sind, in unangemessener Weise eingewirkt wird, um sie als eigene Kunden zu gewinnen oder zu erhalten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2016 - I ZR 137/15, MIR 2017, Dok. 001 - Fremdcoupon-Einlösung, mwN). Unlauter ist das Verleiten zum Vertragsbruch. Dieses liegt allerdings nur vor, wenn gezielt und bewusst darauf hingewirkt wird, dass ein anderer eine ihm obliegende Vertragspflicht verletzt (vgl. BGH, Urteil vom 11.09.2008 - I ZR 74/06 - bundesligakarten.de, mwN). Das bloße Ausnutzen eines fremden Vertragsbruchs, ohne den vertraglich Gebundenen zu dem Vertragsbruch zu verleiten, ist grundsätzlich nur unlauter, wenn besondere die Unlauterkeit begründende Umstände hinzutreten (vgl. BGH, Urteil vom 11.09.2008 - I ZR 74/06 - bundesligakarten.de, mwN).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 18.12.2020
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3035
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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