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Rechtsprechung // Urheberrecht



BGH, Urteil vom 18.06.2020 - I ZR 93/19

Nachlizenzierung - Eine Lizenzierung nach Verletzung (hier: urheberrechtlicher Nutzungsrechte an Stadtplänen) ist nicht ohne weiteres geeignet, den objektiven Wert der bloßen (zukünftigen) Nutzung zu belegen

UrhG § 97 Abs. 2 Satz 1 und 3; ZPO § 287 Abs. 1 Satz 1 und 2

Leitsätze:*

1. Der Anspruch auf Schadensersatz für die Verletzung des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung aus § 19a UrhG richtet sich bei seiner Berechnung im Wege der Lizenzanalogie gemäß § 97 Abs. 2 Satz 3 UrhG auf den Betrag, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des verletzten Rechts eingeholt hätte.

2. Bei der Bemessung des zu leistenden Schadensersatzes im Wege der Lizenzanalogie ist zu fragen, was vernünftige Vertragsparteien als Vergütung für die vorgenommenen Benutzungshandlungen vereinbart hätten. Zu ermitteln ist der objektive Wert der Benutzungsberechtigung. Dabei ist unerheblich, ob und inwieweit der Verletzer selbst bereit gewesen wäre, für seine Nutzungshandlungen eine Vergütung zu zahlen (vgl. BGH, Urteil vom 13.09.2018 - I ZR 187/17 - Sportwagenfoto). Die Höhe der als Schadenersatz zu zahlenden Lizenzgebühr hat das Tatgericht gemäß § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach seiner freien Überzeugung zu bemessen.

3. Maßgebliche Bedeutung für die Bemessung des zu leistenden Schadensersatzes im Wege der Lizenzanalogie kommt einer zur Zeit der Verletzungshandlung am Markt durchgesetzten eigenen Lizenzierungspraxis der Rechtsinhaberin zu (vgl. BGH, Urteil vom 13.09.2018 - I ZR 187/17 - Sportwagenfoto). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die in den Lizenzverträgen aufgeführten Lizenzsätze allgemein üblich und objektiv angemessen sind. Soweit die Rechtsinhaberin die von ihr vorgesehenen Lizenzgebühren verlangt und auch erhält, rechtfertigt dieser Umstand die Feststellung, dass vernünftige Vertragsparteien bei Einräumung einer vertraglichen Lizenz eine entsprechende Vergütung vereinbart hätten. Werden die von der Rechtsinhaberin geforderten Lizenzsätze für die eingeräumten Nutzungsrechte auf dem Markt gezahlt, können sie einer Schadensberechnung im Wege der Lizenzanalogie auch dann zu Grunde gelegt werden, wenn sie über dem Durchschnitt vergleichbarer Vergütungen liegen (vgl. BGH, Urteil vom 26.03.2009 - I ZR 44/06 - Resellervertrag). Der bloße Verweis auf die Preisliste für Lizenzen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin reicht (demgegenüber) nicht aus, um die übliche Lizenzgebühr festzustellen. Mit der Vorlage einer Preisliste ist nicht nachgewiesen, dass ein Vergütungssystem am Markt durchgesetzt werden kann. Die Annahme einer üblichen Vergütung setzt jedoch voraus, dass diese Preise auf dem Markt tatsächlich gezahlt werden.

4. Eine Lizenzierung nach Verletzung ist nicht ohne weiteres geeignet, den objektiven Wert der bloßen (zukünftigen) Nutzung zu belegen; entgolten wird damit regelmäßig mehr als nur die einfache Nutzung. Die nach einer Verletzung vereinbarten "Lizenzgebühren" stellen nicht nur die Vergütung dar, die vernünftige Parteien als Gegenleistung für den Wert der künftigen legalen Benutzungshandlung vereinbart hätten; vielmehr bilden sie darüber hinaus regelmäßig eine Gegenleistung für die einvernehmliche Einigung über mögliche Ansprüche aus der vorangegangenen Rechtsverletzung. Dieser bei einem Nachlizenzierungsvertrag gegenüber einer freihändigen Lizenz vergütete "Mehrwert" steht typischerweise der Annahme entgegen, ein solcher Lizenzvertrag habe eine Indizwirkung für den objektiven Wert der angemaßten Benutzungsberechtigung.

5. Lizenzsätze in nachlizenzierten Verträgen erfüllen auch nicht die Voraussetzung, dass die von der Rechtsinhaberin geforderten Lizenzsätze auf dem Markt gezahlt werden (BGH, Urteil vom 26.03.2009 - I ZR 44/06 - Resellervertrag). Marktpreise entstehen durch freien Angebots- und Nachfragewettbewerb hinsichtlich der künftigen Nutzung des Lizenzobjekts und nicht, wenn mit dem Vertragsschluss (auch) der Verzicht auf eine Rechtsverfolgung wegen einer Rechtsverletzung abgegolten wird. Dem steht der von der Revision als übergangen gerügte Vortrag nicht entgegen, Lizenzverträge nach vorangegangenen Urheberrechtsverletzungen seien stets zu den Konditionen gemäß den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin abgeschlossen worden. Daraus ergibt sich kein durch Angebot und Nach- frage bestimmter Marktpreis für eine freihändige Lizenzierung, sondern allenfalls ein "Marktpreis" für Nachlizenzierungen, dem bei der Lizenzanalogie aber keine Bedeutung zukommt. Zudem führte die Berücksichtigung von Nachlizenzierungsverträgen bei der Berechnung des Schadensersatzes im Wege der Lizenzanalogie faktisch zu einem Verletzerzuschlag, der mit den Grundlagen des deutschen Schadensersatzrechts unvereinbar ist und dem der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums eine Absage erteilt hat.

6. Fehlt es an einer eigenen am Markt durchgesetzten Lizenzierungspraxis der Rechtsinhaberin, liegt es für die Festsetzung einer angemessenen Lizenzgebühr nahe, branchenübliche Vergütungssätze und Tarife als Maßstab heranzuziehen, wenn sich in dem maßgeblichen Zeitraum eine solche Übung herausgebildet hat (BGH, Urteil vom 13.09.2018 - I ZR 187/17 - Sportwagenfoto). Welche Lizenzgebühren für die streitigen Benutzungshandlungen üblich und angemessen sind, ist - soweit erforderlich durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - vom Tatgericht zu klären (vgl. BGH, Urteil vom 26.03.2009 - I ZR 44/06 - Resellervertrag - zu den Maßstäben an die freie Schätzung durch das Tatgericht wird umfassend ausgeführt, Rz. 29 ff.).

MIR 2020, Dok. 066


Anm. der Redaktion: Leitsatz 4 ist der amtliche Leitsatz des Gerichts.
Download: Entscheidungsvolltext PDF

Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 04.08.2020
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3007

*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.

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