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Kurz notiert // Verbraucherrecht



Bundesgerichtshof

Verbraucherwiderrufsrecht besteht bei Online-Matratzenkauf auch nach Entfernen einer Schutzfolie

BGH, Urteil vom 03.07.2019 - VIII ZR 194/16

MIR 2019, Dok. 021, Rz. 1


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Der Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 03.07.2019 (VIII ZR 194/16) entschieden, dass es sich bei einem Onlinekauf eine (mittels Schutzfolie) versiegelten Matraze nicht um einen Vertrag zur Lieferung versiegelter Waren im Sinne von § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB handelt, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene zur Rückgabe ungeeignet sind, wenn die Versiegelung nach der Lieferung entfernt wird. Dem Verbraucher stehe auch bei einem solchen Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht zu (§ 312g Abs. 1 BGB).

Zur Sache:

Die Beklagte vertreibt online unter anderem Matratzen. Der Kläger bestellte zu privaten Zwecken über die Website der Beklagten eine Matratze zu einem Kaufpreis von EUR 1.094,52 , die ihm mit einer versiegelten Schutzfolie geliefert wurde.

In der Rechnung der Beklagten vom 26. November 2014 wurde auf dort abgedruckte Allgemeine Geschäftsbedingungen hingewiesen, in denen auch eine "Widerrufsbelehrung für Verbraucher" enthalten ist. Dort ist unter anderem ausgeführt, dass das Widerrufsrecht bei Verträgen zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, vorzeitig erlischt, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde.

Nach Erhalt der Matratze entfernte der Kläger die Schutzfolie. Mit E-Mail vom 09.12.2014 bat er Kläger die Beklagte um die Vereinbarung eines Termins zum Rücktransport, da er die Matratze zurücksenden wolle. Da die Beklagte den erbetenen Rücktransport nicht veranlasste, gab der Kläger den Transport selbst zu Kosten von EUR 95,59 in Auftrag.

Die auf Erstattung des Kaufpreises und der Transportkosten, insgesamt EUR 1.190,11, nebst Zinsen sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass es sich bei einer Matratze nicht um einen Hygieneartikel im Sinne des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB handele, so dass der Widerruf auch nach dem Entfernen der Schutzfolie durch den Kläger nicht ausgeschlossen gewesen sei. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung.

Der Bundesgerichtshof (VIII. Zivilseant) hat dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) unter anderem die Frage zur Vorabentscheidung (Art. 267 Abs. 3 AEUV) vorgelegt, ob Art. 16 Buchst. e der Verbraucherrechterichtlinie dahin auszulegen ist, dass zu den dort genannten Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind, auch Waren (wie etwa Matratzen) gehören, die zwar bei bestimmungsgemäßem Gebrauch direkt mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen, aber durch geeignete (Reinigungs-)Maßnahmen des Unternehmers wieder verkehrsfähig gemacht werden können (BGH, Beschluss vom 15.11.2017 – VIII ZR 194/16).

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshofs hat nunmehr entschieden, dass es sich bei einem Kaufvertrag, den ein Verbraucher mit einem Online-Händler über eine Matratze schließt, die ihm mit einer Schutzfolie versiegelt geliefert wird, nicht um einen Vertrag zur Lieferung versiegelter Waren handelt, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene zur Rückgabe ungeeignet sind, wenn die Versiegelung nach der Lieferung entfernt wird (§ 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB). Dem Verbraucher stehe daher auch dann das Recht zu, seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung gemäß § 312g Abs. 1 BGB zu widerrufen, wenn er die Schutzfolie entfernt hat.

Diese Rechtsprechung folge im Ergebnis und in der Begründung den Maßstäben, die der Gerichtshof auf den Vorlagebeschluss des Senats vom 15.11.2017 hin im Urteil vom 27.03.2019 (C-681/17) vorgegeben hat. Denn die deutsche Ausnahmevorschrift des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB gehe auf die gleichlautende europarechtliche Vorschrift von Art. 16 Buchst. e der Verbraucherrechterichtlinie zurück, die der deutsche Gesetzgeber vollständig in deutsches Recht habe umsetzen wollen.

Eine Ausnahme von dem bei Fernabsatzverträgen Verbrauchern grundsätzlich eingeräumten Widerrufsrecht sei vor allem mit Blick auf dessen Sinn und Zweck zu verneinen. Das Widerrufsrecht solle den Verbraucher in der besonderen Situation im Fernabsatzhandel schützen, in der er keine Möglichkeit hat, das Erzeugnis vor Abschluss des Vertrages zu sehen und seine Eigenschaften zur Kenntnis zu nehmen. Dieser Nachteil solle mit dem Widerrufsrecht ausgeglichen werden, das dem Verbraucher eine angemessene Bedenkzeit einräumt, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren.

Im Hinblick hierauf greife die Ausnahmeregelung nur dann ein, wenn nach der Entfernung der Versiegelung der Verpackung die darin enthaltene Ware aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene endgültig nicht mehr verkehrsfähig ist, weil der Unternehmer Maßnahmen, die sie unter Wahrung des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene wieder verkehrsfähig machten, nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten ergreifen könnte.

Bei Anlegung dieses Maßstabs falle eine Matratze, deren Schutzfolie der Verbraucher entfernt hat, nicht unter den Ausnahmetatbestand. Eine Matratze könne im Hinblick auf das Widerrufsrecht mit einem Kleidungsstück gleichgesetzt werden, das ebenfalls direkt mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen kann. Es sei davon auszugehen, dass Unternehmer bezüglich beider Waren in der Lage sind, diese nach Rücksendung mittels einer Behandlung wie einer Reinigung oder einer Desinfektion für eine Wiederverwendung durch einen Dritten und damit für ein erneutes Inverkehrbringen geeignet zu machen.

Da das Berufungsgericht die Ankündigung der Rücksendung der Matratze und die Bitte um Übernahme der Transportkosten rechtsfehlerfrei als Widerrufserklärung ausgelegt habe, waren die Parteien gemäß § 355 Abs. 1 BGB nicht mehr an ihre auf den Abschluss des Vertrages gerichteten Willenserklärungen gebunden mit der Folge, dass die beklagte Online-Händlerin den Kaufpreis und die verauslagten Transportkosten an den Kläger zu erstatten hat.

(tg) - PM Nr. 089/2019 des BGH vom 03.07.2019

Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 03.07.2019
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2926
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