Rechtsprechung // Persönlichkeitsrecht
BGH, Urteil vom 15.01.2019 - VI ZR 506/17
Presserechtliche Informationsschreiben - Die Übermittlung eines (hinreichend konkreten) "presserechtlichen Informationsschreibens" greift in der Regel nicht rechtswidrig in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines Presseunternehmens ein
BGB §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 2
Leitsätze:*1. Der Schutz von § 823 Abs. 1 BGB wird gegen jede Beeinträchtigung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewährt, wenn die Störung einen unmittelbaren Eingriff in den gewerblichen Tätigkeitskreis darstellt. Durch den dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewährten Schutz soll das Unternehmen in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit und in seinem Funktionieren vor widerrechtlichen Eingriffen bewahrt bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 15.05.2012 - VI ZR 117/11; BGH, Urteil vom 6.02.2014 - I ZR 75/13 - Aufruf zur Kontokündigung; BGH, Urteil vom 28.02.2013 - I ZR 237/11 - Vorbeugende Unterwerfungserklärung). Bei Presseunternehmen sind dabei durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG grundrechtlich gewährte Rechtspositionen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.01.1984 - 1 BvR 272/81 BVerfGE 66, 116, 132 f.). Die Verletzungshandlung muss sich gerade gegen den Betrieb und seine Organisation oder gegen die unternehmerische Entscheidungsfreiheit richten und über eine bloße Belästigung oder eine sozial übliche Behinderung hinausgehen (vgl. BGH, Urteil vom 21.04.1998 - VI ZR 196/97, BGHZ 138, 311, 317; BGH, Urteil vom 28.02.2013 - I ZR 237/11, MIR 2013, Dok. 049 - Vorbeugende Unterwerfungserklärung).
2. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb stellt einen offenen Tatbestand dar, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Abwägung mit den im Einzelfall konkret kollidierenden Interessen anderer ergeben. Bei der Abwägung sind die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen. Der Eingriff in den Schutzbereich ist nur dann rechtswidrig, wenn das Interesse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. BGH, Urteile vom 10.04.2018 - VI ZR 396/16; BGH, vom 16.12.2014 - VI ZR 39/14; BGH, Urteil vom 06.02.2014 - I ZR 75/13 - Aufruf zur Kontokündigung; jeweils mwN).
3. Die Übermittlung presserechtlicher Informationsschreiben fällt sowohl in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen als auch in den der Berufsausübung von diesem beauftragten bzw. entsprechend tätige Rechtsanwälte. Derartige Schreiben zielen auf einen effektiven - möglichst bereits vor einer Verletzung wirksam werdenden - Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Sie dienen - vergleichbar einer Schutzschrift - dazu, dem von einer befürchteten Rechtsverletzung Betroffenen bereits im Vorfeld Gehör zu gewähren und dadurch persönlichkeitsrechtsverletzende Rechtsverstöße von vorneherein zu verhindern oder jedenfalls ihre Weiterverbreitung einzuschränken (vgl. BGH, Urteil vom 02.05.2017 - VI ZR 262/16; OLG Köln, Urteil vom 12.04.2018 - 15 U 112/17). Die Übermittlung presserechtlicher Informationsschreiben bereits im Vorfeld einer möglichen Presseberichterstattung kann für den Betroffenen von besonderer Bedeutung sein, da sich aufgrund der Schwierigkeit, die für einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch erforderliche Erstbegehungsgefahr konkret darzutun (vgl. BGH, Urteile vom 15.09.2015 - VI ZR 175/14; BGH, Urteil vom vom 30.06.2009 - VI ZR 210/08, MIR 2009, Dok. 167), auch durch eine einstweilige Verfügung in der Regel nur der weiteren Verbreitung einer bereits veröffentlichten persönlichkeitsrechtsverletzenden Berichterstattung entgegen wirken lässt.
4. Die Übermittlung eines "presserechtlichen Informationsschreibens" greift in der Regel nicht rechtswidrig in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines Presseunternehmens ein. Eine andere Beurteilung ist allerdings dann geboten, wenn das übersandte Informationsschreiben von vorneherein ungeeignet ist, präventiven Rechtsschutz zu bewirken. Hiervon ist auszugehen, wenn es keine Informationen enthält, die dem Presseunternehmen die Beurteilung erlauben, ob Persönlichkeitsrechte durch eine etwaige Berichterstattung verletzt werden.
5. In einem sogenannten "presserechtlichen Informationsschreiben" muss aufgezeigt werden, welche Rechtsverletzungen konkret vorgeworfen werden. Es muss etwa klar werden, welche unrichtigen Behauptungen konkret aufgestellt und welche Fotos aus welchen Gründen in rechtswidriger Weise veröffentlicht worden sein sollen. Die Darstellung darf nicht so allgemein gehalten sein, dass sie dem Empfänger eine Prüfung und Beurteilung des Sachverhalts nicht ermöglicht.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 05.02.2019
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2909
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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Bundesgerichtshof, MIR 2021, Dok. 091
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