Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 21.09.2017 - I ZR 53/16
Festzins Plus - Der durch eine Blickfangangabe verursachte Irrtum wird auch bei wirtschaftlich bedeutsamen Erwerbsvorgängen nicht ohne Weiteres durch einen aufklärenden Hinweis ausgeräumt
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; UWG § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1
Leitsätze:*1. Eine geschäftliche Handlung ist im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 UWG irreführend, wenn das Verständnis, das sie bei den Verkehrskreisen erweckt, an die sie sich richtet, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt. Mögliche Bezugspunkte der Irreführung sind nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG wesentliche Merkmale der Ware oder Dienstleistung wie etwa die mit ihnen verbundenen Risiken. Für die Beurteilung einer geschäftlichen Handlung kommt es darauf an, welchen Gesamteindruck sie bei den angesprochenen Verkehrskreisen hervorruft. Dabei sind die vom Tatrichter zu treffenden Feststellungen zur Verkehrsauffassung in der Revisionsinstanz nur darauf nachprüfbar, ob das Gericht bei seiner Würdigung gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 24.09.2013 - I ZR 89/12 - Matratzen Factory Outlet; BGH, Urteil vom 21.04.2016 - I ZR 151/15 - Ansprechpartner, jeweils mwN). Diesen Anforderungen wird die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht gerecht.
2. In Fällen, in denen ein Blickfang für sich genommen eine fehlerhafte Vorstellung vermittelt, kann der dadurch veranlasste Irrtum regelmäßig nur durch einen klaren und unmissverständlichen Hinweis ausgeschlossen werden, der selbst am Blickfang teilhat (vgl. BGH, Urteil vom 28.11.2002 - I ZR 110/00 - Preis ohne Monitor). Zwar ist nicht in jedem Fall ein Sternchenhinweis oder ein anderer klarstellender Hinweis an den isoliert irreführenden blickfangmäßigen Angaben in einer Werbung erforderlich, um einen Irrtum der Verbraucher auszuschließen. Vielmehr kann es genügen, dass es sich um eine Werbung - etwa für langlebige und kostspielige Güter - handelt, mit der sich der Verbraucher eingehend und nicht nur flüchtig befasst und die er aufgrund einer kurzen und übersichtlichen Gestaltung insgesamt zur Kenntnis nehmen wird (BGH, Urteil vom 18.12.2014 - I ZR 129/13, MIR 2015, Dok. 045 - Schlafzimmer komplett). Mit Blick auf den hauptsächlichen Zweck der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, den Verbraucher in seiner Fähigkeit zu einer freien und informationsgeleiteten Entscheidung zu schützen, ist die Annahme, der Verbraucher werde die Einschränkung einer blickfangmäßig herausgestellten Werbeaussage durch eine andere Aussage in der Werbung erkennen, zu der er nicht durch einen klaren und unmissverständlichen Hinweis an der blickfangmäßig herausgestellten Aussage hingeführt wird, indes nur unter engen Voraussetzungen gerechtfertigt (BGH, Urteil vom 15.10.2015 - I ZR 260/14, MIR 2016, Dok. 001 - All Net Flat).
3. Eine Werbung ist nur dann "kurz und übersichtlich" gestaltet, wenn der Zusammenhang zwischen unrichtiger Blickfangangabe und aufklärendem Hinweis gewissermaßen "auf einen Blick" erkannt werden kann, weil beide Bestandteile in räumlicher Nähe zueinander stehen und die aufklärende Information nicht in unübersichtlichem Text "versteckt" wird (vgl. BGH, Urteil vom 18.12.2014 - I ZR 129/13, MIR 2015, Dok. 045 - Schlafzimmer komplett).
4. Der durch eine irreführende Blickfangangabe verursachte Irrtum wird auch bei wirtschaftlich bedeutsamen Erwerbsvorgängen regelmäßig nicht durch einen Hinweis am Ende eines nachfolgenden umfangreichen und unübersichtlichen Texts ausgeräumt, dessen inhaltlicher Bezug zum Blickfang nicht klargestellt wird.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 02.02.2018
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2853
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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