Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 20.10.2021 - I ZR 96/20
Kurventreppenlift - Ein Vertrag über die Lieferung und Montage eines Kurventreppenlifts mit einer individuell erstellten, an die Wohnverhältnisse des Kunden angepassten Laufschiene ist ein Werkvertrag und von § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht erfasst
Richtlinie 2011/83/EU Art. 2 Nr. 4, 5 und 6, Art. 9 Abs. 2 Buchst. a und b, Art. 14 Abs. 3, Art. 16 Buchst. a und c; UWG § 3 Abs. 1, §§ 3a, 8 Abs. 1 Satz 2; BGB § 312d Abs. 1, § 312g Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, § 355 Abs. 2, § 356 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 4, § 357 Abs. 8, §§ 433, 474, 631, 650; EGBGB Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
Leitsätze:*1. Die in § 312d BGB und in Art. 246a § 1 EGBGB enthaltenen Regelungen über die Informationen über das Widerrufsrecht der Verbraucher nach § 312g Abs. 1 BGB stellen dem Schutz der Verbraucher dienende Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 3a UWG dar (vgl. BGH, Urteil vom 21.01.2021 - I ZR 17/18, MIR 2021, Dok. 028 - Berechtigte Gegenabmahnung, mwN).
2. Die Bestimmung des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB setzt zunächst den Abschluss eines Vertrags zur Lieferung von Waren voraus. Erst wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, ist weiter zu prüfen, ob die zu liefernden Waren nicht vorgefertigt sind und ob für ihre Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder sie eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. Zu den Verträgen zur Lieferung von Waren im Sinne des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB zählen Kaufverträge (§ 433 BGB) und Werklieferungsverträge (§ 650 BGB), aber weder Dienstverträge (§ 611 BGB) noch - jedenfalls im Regelfall - Werkverträge (§ 631 BGB - wird ausgeführt).
3. Für die Abgrenzung von Kauf- und Werklieferungsverträgen einerseits und Werkverträgen andererseits kommt es darauf an, auf welcher der Leistungen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Schwerpunkt liegt. Dabei ist vor allem auf die Art des zu liefernden Gegenstands, das Wertverhältnis von Lieferung sowie Montage- und Bauleistung sowie die Besonderheiten des geschuldeten Ergebnisses abzustellen. Je mehr die mit dem Warenumsatz verbundene Übertragung von Eigentum und Besitz der zu liefernden Sache auf den Vertragspartner im Vordergrund steht und je weniger dessen individuelle Anforderungen und die geschuldete Montage- und Bauleistung das Gesamtbild des Vertragsverhältnisses prägen, desto eher ist die Annahme eines Kauf- oder Werklieferungsvertrags geboten. Liegt der Schwerpunkt dagegen auf der Montage- und Bauleistung bei der Herstellung eines funktionstauglichen Werks, etwa auf Einbau und Einpassung einer Sache in die Räumlichkeit, und dem damit verbundenen individuellen Erfolg, liegt ein Werkvertrag vor (vgl. BGH, Urteil vom 03.03.2004 - VIII ZR 76/03 - Solaranlage; BGH; Urteil vom 19.07.2018 - VII ZR 19/18 - Einbauküche; BGH, Urteil vom 30.08.2018 - VII ZR 243/17, MIR 2018, Dok. 042 - Senkrechtlift, jeweils mwN).
4.
a) Ein Vertrag über die Lieferung und Montage eines Kurventreppenlifts mit einer individuell erstellten, an die Wohnverhältnisse des Kunden angepassten Laufschiene ist ein Werkvertrag. Wird ein solcher Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen mit einem Verbraucher geschlossen, steht diesem ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB zu, weil der in § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB vorgesehene Ausschluss dieses Rechts Werkverträge nicht erfasst.
b) Die werbliche Angabe eines Anbieters von Treppenliften, im Falle eines Kurventreppenlifts mit individuell geformten und an die Gegebenheiten vor Ort angepassten Laufschienen bestehe kein Widerrufsrecht des Verbrauchers, begründet Erstbegehungsgefahr für einen Verstoß gegen die Pflicht zur Information über das Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB gemäß § 312d Abs. 1 und Art. 246a Abs. 2 Nr. 1 EG-BGB.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 16.11.2021
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3132
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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