Kurz notiert // Wettbewerbsrecht
Bundesgerichtshof
Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ohne Rezept wettbewerbswidrig
BGH, Urteil vom 08.01.2015 - I ZR 123/13 - Abgabe ohne Rezept; Vorinstanz: LG Ravensburg, Urteil vom 15.11.2012 – 7 O 76/11 KfH 1; OLG Stuttgart, Urteil vom 13.06.2013 – 2 U 193/12
MIR 2015, Dok. 003, Rz. 1
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Der Bundesgerichtshof (I. Zivilsenat) hat mit Urteil vom 08.01.2015 (I ZR 123/13 - Abgabe ohne Rezept) entschieden, dass die Abgabe eines verschreibungspflichtigen Medikaments durch einen Apotheker ohne Vorlage eines Rezepts regelmäßig wettbewerbsrechtlich unzulässig ist. Nur in sehr begrenzten Ausnahmenfällen kann eine Ausnahme nach § 4 Abs. 1 Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) in Betracht kommen und eine telefonische Unterrichtung von der Verschreibung - vorab - ausreichen. Voraussetzung ist allerdings auch dann grundsätzlich eine vorausgehende Therapieentscheidung des behandelnden Arztes aufgrund einer vorhergigen eigenen Diagnose und die Dringlichkeit der Verwendung des verschreibungspflichtigen Arzeimittels für den Patienten. Der Verstoß gegen die Verschreibungspflicht in § 48 Abs. 1 Arzneimittelgesetzes (AMG) stelle zudem stets eine spürbare Beeinträchtigung von Verbraucherinteressen dar.
Zur Sache:
Die Parteien betreiben Apotheken. Der Kläger beanstandet, dass die Beklagte einer Patientin ein verschreibungspflichtiges Medikament ohne ärztliches Rezept ausgehändigt hat. Hierin liege ein Verstoß gegen § 48 Abs. 1 AMG, wonach verschreibungspflichtige Medikamente nicht ohne ärztliche Verordnung abgegeben werden dürfen. Der Kläger hat die Beklagte deshalb auf Unterlassung, Auskunft, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch genommen. Die Beklagte hat eingewandt, sie habe aufgrund der telefonisch eingeholten Auskunft einer ihr bekannten Ärztin davon ausgehen dürfen, zur Abgabe des Medikaments ohne Vorlage eines Rezepts berechtigt zu sein.
Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der Abmahnkosten stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei zwar nicht zur Abgabe des Arzneimittels ohne Rezept berechtigt gewesen, weil kein dringender Fall im Sinne von § 4 AMVV vorgelegen habe. Der einmalige Gesetzesverstoß der Beklagten sei aber aufgrund der damaligen besonderen Situation, insbesondere wegen eines geringen Verschuldens der Beklagten, nicht geeignet gewesen, Verbraucherinteressen spürbar zu beeinträchtigen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Verstoß gegen Verschreibungspflicht stets spürbare Beeinträchtigung der Verbraucherinteressen
Auf die Revision des Klägers hat der Bundesgerichtshof die Verurteilung der Beklagten in erster Instanz wiederhergestellt. Die Verschreibungspflicht gemäß § 48 AMG diene dem Schutz der Patienten vor gefährlichen Fehlmedikationen und damit gesundheitlichen Zwecken. Durch Verstöße gegen das Marktverhalten regelnde Vorschriften, die den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung bezwecken, würde die Verbraucherinteressen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stets spürbar beeinträchtigt.
Hier keine Ausnahme nach § 4 Abs. 1 AMVV
Die Beklagte war auch nicht aufgrund der besonderen Umstände des Streitfalls gemäß § 4 AMVV ausnahmsweise zur Abgabe des Arzneimittels ohne Rezept berechtigt. Zwar könne sich der Apotheker grundsätzlich auf eine Entscheidung des Arztes über die Verordnung des verschreibungspflichtigen Medikaments verlassen. Die Ausnahmevorschrift des § 4 AMVV setze aber eine Therapieentscheidung des behandelnden Arztes aufgrund eigener vorheriger Diagnose voraus. In dringenden Fällen reiche es insofern aus, wenn der Apotheker über die Verschreibung telefonisch unterrichtet wird. An der erforderlichen Therapieentscheidung fehle es insoweit aber, wenn ein Apotheker einen Arzt zu einer Verschreibung für einen dem Arzt unbekannten Patienten bewegt. Da zum Zeitpunkt des Besuchs der Apotheke der Beklagten hier keine akute Gesundheitsgefährdung der Patientin bestanden haben, war dieser auch zuzumuten, den ärztlichen Notdienst im Nachbarort aufzusuchen, so der BGH.
(tg) - Quelle: PM Nr. 3/2015 des BGH vom 08.01.2015
Zur Sache:
Die Parteien betreiben Apotheken. Der Kläger beanstandet, dass die Beklagte einer Patientin ein verschreibungspflichtiges Medikament ohne ärztliches Rezept ausgehändigt hat. Hierin liege ein Verstoß gegen § 48 Abs. 1 AMG, wonach verschreibungspflichtige Medikamente nicht ohne ärztliche Verordnung abgegeben werden dürfen. Der Kläger hat die Beklagte deshalb auf Unterlassung, Auskunft, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch genommen. Die Beklagte hat eingewandt, sie habe aufgrund der telefonisch eingeholten Auskunft einer ihr bekannten Ärztin davon ausgehen dürfen, zur Abgabe des Medikaments ohne Vorlage eines Rezepts berechtigt zu sein.
Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der Abmahnkosten stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei zwar nicht zur Abgabe des Arzneimittels ohne Rezept berechtigt gewesen, weil kein dringender Fall im Sinne von § 4 AMVV vorgelegen habe. Der einmalige Gesetzesverstoß der Beklagten sei aber aufgrund der damaligen besonderen Situation, insbesondere wegen eines geringen Verschuldens der Beklagten, nicht geeignet gewesen, Verbraucherinteressen spürbar zu beeinträchtigen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Verstoß gegen Verschreibungspflicht stets spürbare Beeinträchtigung der Verbraucherinteressen
Auf die Revision des Klägers hat der Bundesgerichtshof die Verurteilung der Beklagten in erster Instanz wiederhergestellt. Die Verschreibungspflicht gemäß § 48 AMG diene dem Schutz der Patienten vor gefährlichen Fehlmedikationen und damit gesundheitlichen Zwecken. Durch Verstöße gegen das Marktverhalten regelnde Vorschriften, die den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung bezwecken, würde die Verbraucherinteressen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stets spürbar beeinträchtigt.
Hier keine Ausnahme nach § 4 Abs. 1 AMVV
Die Beklagte war auch nicht aufgrund der besonderen Umstände des Streitfalls gemäß § 4 AMVV ausnahmsweise zur Abgabe des Arzneimittels ohne Rezept berechtigt. Zwar könne sich der Apotheker grundsätzlich auf eine Entscheidung des Arztes über die Verordnung des verschreibungspflichtigen Medikaments verlassen. Die Ausnahmevorschrift des § 4 AMVV setze aber eine Therapieentscheidung des behandelnden Arztes aufgrund eigener vorheriger Diagnose voraus. In dringenden Fällen reiche es insofern aus, wenn der Apotheker über die Verschreibung telefonisch unterrichtet wird. An der erforderlichen Therapieentscheidung fehle es insoweit aber, wenn ein Apotheker einen Arzt zu einer Verschreibung für einen dem Arzt unbekannten Patienten bewegt. Da zum Zeitpunkt des Besuchs der Apotheke der Beklagten hier keine akute Gesundheitsgefährdung der Patientin bestanden haben, war dieser auch zuzumuten, den ärztlichen Notdienst im Nachbarort aufzusuchen, so der BGH.
(tg) - Quelle: PM Nr. 3/2015 des BGH vom 08.01.2015
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Gramespacher
Online seit: 08.01.2015
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2669
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