Rechtsprechung // Urheberrecht
BGH, Urteil vom 17.07.2013 - I ZR 52/12
Pippi-Langstrumpf-Kostüm - Ein einzelner Charakter eines Sprachwerks (hier: Pippi Langstrumpf) kann selbständigen Urheberrechtsschutz genießen.
UrhG § 2 Abs. 1 Nr. 1, §§ 23, 24 Abs. 1
Leitsätze:*1. Bei Werken der Literatur im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG genießen auch eigenpersönlich geprägte Bestandteile und formbildende Elemente des Werkes, die im Gang der Handlung in der Charakteristik und Rollenverteilung der handelnden Personen, der Ausgestaltung von Szenen und in der "Szenerie" des Romans liegen, Urheberrechtsschutz (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.1999 - I ZR 65/69 - Laras Tochter). Neben der Fabel, dem Handlungs- und Beziehungsgeflecht der Charaktere eines Romans, können auch einzelne Charaktere des Sprachwerks selbständigen Urheberrechtsschutz genießen.
Für bildliche Darstellungen im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG beschränkt sich der isolierte Figurenschutz nicht auf die konkreten zeichnerischen Darstellungen in verschiedenen Körperhaltungen mit der jeweils gleichbleibenden und der das Äußere in schöpferischer Weise prägenden Elemente. Schutz genießen auch die allen Einzeldarstellungen zugrundeliegenden Charaktere als solche, wenn diese sich durch eine unverwechselbare Kombination äußerer Merkmale, Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und typischen Verhaltensweisen auszeichnen, somit zu besonders ausgeprägten Persönlichkeiten geformt sind und in den Geschichten jeweils in einer bestimmten charakteristischen Weise auftreten (vgl. BGH, Urteil vom 11.03.1993 - I ZR 263/91 - Alcolix; BGGH Urteil vom 11.03.1993 - I ZR 264/91 - Asterix-Persiflagen; BGH, Urteil vom 08.07.2004 - I ZR 25/02 - Hundefigur). Diese Grundsätze gelten für Sprachwerke im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG gleichermaßen.
2. Die literarische Beschreibung einer einzelnen fiktiven Charaktere kann im geistigen Auge des Lesers ein so deutliches "Bild" von einer handelnden Figur schaffen, dass dieser selbständiger Urheberrechtsschutz zukommt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit den Mitteln der Sprache gerade die prägenden Charaktereigenschaften einer fiktiven Person wesentlich differenzierter als mit den Mitteln der bildenden Kunst dargestellt werden können. Eine detaillierte Beschreibung der Charaktereigenschaften kann insoweit eine mit den Mitteln der Sprache nur begrenzt konkretisierbare Darstellung des Äußeren der Person ohne weiteres ausgleichen.
3.
a) Ein einzelner Charakter eines Sprachwerks (hier: Pippi Langstrumpf) kann selbständigen Urheberrechtsschutz genießen. Dies setzt voraus, dass der Autor dieser Figur durch die Kombination von ausgeprägten Charaktereigenschaften und besonderen äußeren Merkmalen eine unverwechselbare Persönlichkeit verleiht. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Allein die Beschreibung der äußeren Gestalt einer handelnden Figur oder ihres Erscheinungsbildes wird dafür in aller Regel nicht genügen.
b) Für die Abgrenzung der verbotenen Übernahme gemäß § 23 UrhG von der freien Benutzung im Sinne von § 24 Abs. 1 UrhG kommt es auf die Übereinstimmung im Bereich der objektiven Merkmale an, durch die die schöpferische Eigentümlichkeit des Originals bestimmt wird. Für eine nach § 23 UrhG verbotene Übernahme eines Charakters ist es mithin nicht ausreichend, dass eine Abbildung (hier: Abbildung von Personen in Karnevalskostümen) lediglich einzelne äußere Merkmale der literarischen Figur übernimmt. Diese Elemente mögen zwar die äußere Gestalt der Romanfigur prägen. Sie genügen aber für sich genommen nicht, um den Urheberrechtsschutz an der Figur zu begründen und nehmen daher auch nicht isoliert am Schutz der literarischen Figur teil.
c) Wird aus den angegriffenen Abbildungen deutlich, dass sich die abgebildeten Personen für Karnevalszwecke nur als die literarische Figur verkleiden und somit lediglich in ihre Rolle schlüpfen wollen, spricht dies für die Annahme eines inneren Abstands zum Werk und damit für eine freie Benutzung gemäß § 24 Abs. 1 UrhG.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Gramespacher
Online seit: 17.01.2014
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2539
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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