Rechtsprechung
BGH, Urteil vom 19.04.2012 - I ZR 86/10
Pelikan - Zur Zulässigkeit des Übergangs von der alternativen zur eventuellen Klagehäufung in der Berufungs- und Revisionsinstanz im gewerblichen Rechtsschutz und zur Beurteilung der (Un-) Ähnlichkeit von Waren oder Dienstleistungen (hier: "Lehrmittel" und "Musikunterricht").
Gemeinschaftsmarkenverordnung Art. 9 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b; MarkenG § 14 Abs. 2 Nr. 2 und 3, § 15 Abs. 2 Nr. 2 und 3; ZPO § 139 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3, § 253 Abs. 2 Nr. 2
Leitsätze:*1. Der Streitgegenstand (der prozessuale Anspruch) wird durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (BGH, Urteil vom 03.04.2003 - I ZR 1/01 - Reinigungsarbeiten). Geht der Kläger aus einem Schutzrecht vor, wird der Gegenstand der Klage durch den Antrag und das im Einzelnen bezeichnete Schutzrecht festgelegt (BGH, Urteil vom 20.09.2007 - I ZR 6/05 - Kinder II; BGH, Urteil vom 24.05.2007 - I ZR 42/04 - Staatsgeschenk).
2. Unterschiedliche Streitgegenstände liegen etwa vor, wenn aus verschiedenen Marken und einem Unternehmenskennzeichen vorgegangen wird. Demgegenüber bilden die Ansprüche wegen Verletzung eines Markenrechts nach § 14 MarkenG - hier: Abs. 2 Nr. 2 und 3 - einen einheitlichen Streitgegenstand; dasselbe gilt für den Schutz einer geschäftlichen Bezeichnung nach § 15 MarkenG - hier: Abs. 2 und 3 (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.2012 - I ZR 75/10).
3. Eine alternative Klagehäufung, bei der der Kläger sein Klagebegehren aus mehreren Streitgegenständen herleitet und dem Gericht die Auswahl überlässt, auf welchen Streitgegenstand es die stattgebende Entscheidung stützt, ist unzulässig (vgl. dazu: BGH, Beschluss vom 24.03.2011 - I ZR 108/09, Rz. 8 - TÜV I; BGH, Beschluss vom 17.08.2011 - I ZR 108/09, Rz. 30 - TÜV II)
4. Der Übergang von der alternativen zur eventuellen Klagehäufung noch in der Revisionsinstanz durch Angabe der Reihenfolge, in der die Rechte aus den verschiedenen Kennzeichen geltend gemacht werden, ist zulässig (mit Verweis auf: BGH, Urteil vom 24.03.2011 - I ZR 108/09, Rz. 13; BGH, Urteil vom 09.11.2011 - I ZR 150/09, Rz. 18 - Basler Haar-Kosmetik). Eine entsprechende Klarstellung ist zwar bereits in der Klage geboten, sie kann aber noch im Laufe des Verfahrens, uns zwar auch noch in der Berufungs- oder Revisionsinstanz nachgeholt werden. Auf die Angabe einer Reihenfolge muss das Gericht der Tatsacheninstanz nach § 139 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 und 3 ZPO hinwirken.
5.
a) Hat der Kläger in den Tatsacheninstanzen Ansprüche aus verschiedenen Kennzeichenrechten alternativ verfolgt, ist ein gerichtlicher Hinweis auf die Notwendigkeit der Angabe der Reihenfolge der geltend gemachten Kennzeichenrechte nicht deshalb entbehrlich, weil das Gericht die Ansprüche für unbegründet hält.
b) Der Geschäftsführer einer GmbH haftet regelmäßig für eine Markenverletzung auch persönlich, die in der Verwendung der Firma der juristischen Person liegt.
6. Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen (hier: Ware "Lehrmittel" und Dienstleistung "Musikunterricht") im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG sind alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren oder Dienstleistungen kennzeichnen.
Hierzu gehören insbesondere die Art der Waren und Dienstleistungen, ihr Verwendungszweck, ihre Nutzung sowie die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen. In die Beurteilung einzubeziehen ist, ob die Waren oder Dienstleistungen regelmäßig von denselben Unternehmen oder unter ihrer Kontrolle hergestellt oder erbracht werden oder ob sie beim Vertrieb Berührungspunkte aufweisen. Von einer Unähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen kann nur ausgegangen werden, wenn trotz (unterstellter) Identität der Marken die Annahme einer Verwechslungsgefahr wegen des Abstands der Waren oder Dienstleistungen von vornherein ausgeschlossen ist. Dabei gibt es eine absolute Waren- und Dienstleistungsunähnlichkeit, die auch bei Identität der Zeichen nicht durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke ausgeglichen werden kann (vgl. EuGH, Urteil vom 29.09.1998 - C-39/97, Slg. 1998, I-5507 - Canon; BGH, Beschluss vom 28.09.2006 - I ZB 100/05 - COHIBA; BGH, Urteil vom 05.02.2009 - I ZR 167/06 - METROBUS).
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 07.10.2012
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2424
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