Rechtsprechung
BGH, Urteil vom 29.04.2010 - I ZR 69/08
Vorschaubilder - Zur urheberrechtlichen Beurteilung von Bildersuchmaschinen.
UrhG §§ 19a, 23, 24 Abs. 1, 31, 44a, 51 Abs. 1 Satz 1, § 97
Leitsätze:*1. Bei Vorschaubildern in einer Bildersuchmaschine (sog. Thumbnails) handelt es sich regelmäßig um
Vervielfältigungen im Sinne von § 16 Abs. 2 UrhG. Vom Vervielfältigungsrecht des Urhebers werden insoweit
auch solche Werkumgestaltungen erfasst, die über keine eigene schöpferische Ausdruckskraft verfügen
und sich daher trotz einer vorgenommenen Umgestaltung noch im Schutzbereich des Originals befinden,
weil dessen Eigenart in der Nachbildung erhalten bleibt und ein übereinstimmender Gesamteindruck besteht.
Eine Abbildung, die ein Werk zwar verkleinert darstellt, aber in seinen wesentlichen schöpferischen Zügen
genauso gut erkennen lässt wie das Original, ist daher keine Umgestaltung im Sinne von § 23 UrhG. Durch
die verkleinerte Darstellung (hier: in Form eines Vorschaubildes) entsteht auch kein von dem
Originalwerk unabhängiges selbständiges Werk im Sinne von § 24 Abs. 1 UrhG ("Freie Benutzung").
2. Der Betreiber einer Suchmaschine, der Abbildungen von Werken, die Dritte ins Internet eingestellt
haben, als Vorschaubilder (sog. Thumbnails) in der Trefferliste seiner Suchmaschine auflistet, macht
die abgebildeten Werke nach § 19a UrhG öffentlich zugänglich.
3. Die Verwertung eines geschützten Werks als Zitat setzt nach wie vor einen Zitatzweck im Sinne einer
Verbindung zwischen dem verwendeten fremden Werk oder Werkteil und den eigenen Gedanken des Zitierenden
voraus.
4. Für die Annahme eines Zitatzwecks im Sinne von § 51 UrhG genügt es nicht, wenn die Verwendung des fremden
Werks nur zum Ziel hat, dieses dem Endnutzer leichter zugänglich zu machen oder eigene Ausführungen zu
ersparen. Erschöpft sich die Anzeige von Vorschaubildern fremder Werke in dem bloßen
Nachweis der von einer Bildersuchmaschine aufgefundenen Abbildungen reicht dies nicht aus.
5. Die Einräumung von Nutzungsrechten kann auch durch eine konkludente Erklärung des Urhebers erfolgen.
Erforderlich ist, dass unter Berücksichtigung der gesamten Begleitumstände nach dem objektiven Inhalt
der Erklärung unzweideutig zum Ausdruck kommt, das der Erklärende über sein Urheberrecht in der Weise
verfügen will, dass er einem Dritten daran ein bestimmtes Urheberrecht einräumt (mit Verweis auf
BGH GRUR 1971, 362, 363 - Kandinsky II, m.w.N.). Die Anbringung eines Urhebervermerks spricht
gegen einen solchen Erklärungsinhalt.
6. Werden Abbildungen urheberrechtlich geschützter Werke ins Internet eingestellt, kommt lediglich der
Wille zum Ausdruck, dass diese Abbildungen von anderen Internetnutzern angesehen werden können, nicht aber
ein objektiver Erklärungswille, Dritten ein Recht zur Nutzung der betreffenden Werke (hier: zur
Nutzung im Wege von Vorschaubildern einer Suchmaschine) - unentgeltlich - einzuräumen.
7. Ein rechtswidriger Eingriff in urheberrechtliche Befugnisse ist nicht nur dann zu verneinen, wenn
der Berechtigte rechtsgeschäftlich entweder durch Einräumung entsprechender Nutzungsrechte über sein
Recht verfügt oder dem Nutzer die entsprechende Werknutzung schuldrechtlich gestattet hat. Vielmehr
ist die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs in ein ausschließliches Verwertungsrecht auch dann
ausgeschlossen, wenn der Berechtigte in die rechtsverletzende Handlung eingewilligt hat. Eine solche
Einwilligung setzt keine auf den Eintritt dieser Rechtsfolge gerichtete rechtsgeschäftliche
Willenserklärung voraus.
8. Werden die Inhalte einer Internetseite für den Zugriff durch Suchmaschinen zugänglich gemacht, ohne von
technischen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, um die betreffenden Inhalte (hier: Abbildungen urheberrechtlich
geschützter Werke) von der Suche und der Anzeige durch (Bilder-) Suchmaschinen
(hier: in Form von Vorschaubildern) auszunehmen, ist dies objektiv als Einverständnis in die Nutzung
dieser Inhalte in dem üblichen Umfang der (Bilder-) Suche zu verstehen. Ein Berechtigter, der Texte oder
Bilder im Internet ohne Einschränkungen frei zugänglich macht, muss mit den nach den Umständen üblichen
Nutzungshandlungen rechnen (vgl. BGH, Urteil vom 06.12.2007 - Az. I ZR 94/05,
MIR 2008, Dok. 049 - Drucker und Plotter).
9. Soweit mit dem Einstellen von Abbildungen urheberrechtlich geschützter Werke in das Internet ohne
hinreichende Sicherungen gegen das Auffinden durch Bildersuchmaschinen eine Einwilligung in die übliche
Nutzung durch Bildersuchmaschinen erteilt wird, bedarf es für einen rechtlich beachtlichen Widerruf
grundsätzlich eines gegenläufigen Verhaltens, also der Vornahme der entsprechenden (technischen)
Sicherungen. Dies ist dem betroffenen Urheber grundsätzlich auch zuzumuten.
10. Werden Abbildungen urheberrechtlich geschützter Werke von nicht dazu berechtigten Personen in das Internet
eingestellt, kann der Betreiber einer Bildersuchmaschine aus deren Verhalten keine Berechtigung für einen
Eingriff in die Urheberrechte Dritter herleiten. In einem solchen Fall kommt jedoch in Betracht, dass die
Haftung des Betreibers der Suchmaschine auf solche Verstöße beschränkt ist, die begangen werden, nachdem
er auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen worden ist (
BGH, Urteil vom 11.03.2004 - Az. I ZR 304/01, MIR 2005, Dok. 010 - Internet-Versteigerung I;
BGH, Urteil vom 12.07.2007 - Az. I ZR 18/04, MIR 2007, Dok. 325 - Jugendgefährdende Medien bei eBay;
BGH, Urteil vom 19.04.2007 - Az. I ZR 35/04, MIR 2007, Dok. 246 - Internet-Versteigerung II,
BGH, Urteil vom 30.04.2008 - Az. I ZR 73/05, MIR 2008, Dok. 183 - Internet-Versteigerung III; vgl. weiterhin:
EuGH, Urteil vom 23.03.2010 - Az. C-236/08 bis Az. C-238/08 - Google France/Louis Vuitton).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 22.05.2010
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2177
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