Rechtsprechung
Hanseatisches OLG, Urteil vom 03.04.2008 - 3 U 282/06
Unter falschem Namen - Das Herantreten an Mitarbeiter eines Mitbewerbers unter falschen Namen und das dabei erfolgende Fragen nach Informationen über Preise neuer Geräte und nach weiteren Einzelheiten stellt nicht in jedem Fall einen Wettbewerbsverstoß dar.
UWG §§ 3, 4 Nr. 1, Nr. 10, Nr. 11, §§ 8, 17; ZPO § 253
Leitsätze:*1. Das Herantreten an Mitarbeiter eines Mitbewerbers unter falschen Namen und das dabei erfolgende
Fragen nach Informationen über Preise neuer Geräte und nach weiteren Einzelheiten (hier etwa: Leistungskombinationen, technische
Alleinstellungsmerkmale) stellt nicht in jedem Fall eine gezielte unlautere Behinderung i.S.v. § 4 Nr. 10 UWG dar.
2. Eine kundenbezogene Behinderung liegt nicht vor, soweit auf die Kunden des Mitbewerbers kein Druck ausgeübt wird und keine
Täuschung und/oder eine sonst unangemessene Einflussnahme auf diese in Rede steht.
Eine vertriebsbezogene Behinderung liegt dann nicht vor, wenn der Mitbewerber nicht in jedem Falle unlauter behindert wird.
3. Die Frage nach Informationen über Preise neuer Geräte und weiteren Einzelheiten wie Leistungskombinationen, technischen
Alleinstellungsmerkmalen eines Geräts etc. unter falschen Namen gegenüber Mitbewerbern können im Einzelfall und
unter bestimmten Voraussetzungen - aber nicht in jedem Fall - einen Verstoß gegen § 17 UWG darstellen. Bei derartigen Fakten
handelt es sich nicht generell um Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse.
4. Das Vorenthalten von entscheidungserheblichen Informationen (hier: durch das Handeln im falschen Namen) kann zwar als sonstiger
unangemessener Einfluss im Sinne von § 4 Nr. 1 UWG angesehen werden. Allerdings postuliert § 4 Nr. 1 UWG keine allgemeine
Informationspflicht über alle Umstände, die für eine rationale Nachfrageentscheidung erforderlich sind. Deswegen
kann jedenfalls ein verallgemeinerter Unterlassungsanspruch nicht aus § 4 Nr. 1 UWG begründet sein.
5. Eine Wettbewerbshandlung, die nicht von den Beispieltatbeständen des § 4 UWG erfasst wird, unlauter im Sinne von § 3 UWG
sein. Dies setzt allerdings voraus, dass das angegriffene Verhalten mit einem dem Katalog des § 4 UWG entsprechenden Unwertgehalt
den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel zuwiderläuft (vgl. BGH GRUR 2006, 1042 - Kontaktanzeigen = MIR 2006, Dok. 203).
6. Eine Verbotsbestimmung mit dem Inhalt, an bestimmte Personen (hier: Wettbewerber) "im falschen Namen unter Vorspiegelung einer
Erwerbsabsicht hinsichtlich eines Produkts" heranzutreten ist zu unbestimmt.
Innerhalb einer solchen Verbotsbestimmung kommt dem Merkmal "unter Vorspiegelung einer Erwerbsabsicht" eine eigenständige
Bedeutung zu, wobei nicht auf ein konkretes Verhalten abgestellt wird, dass eine Erwerbsabsicht vorspiegelt, sondern
auf das Vorspiegeln selbst. Ein solches Verbot erfasst damit ganz verschiedene - auch im konkreten Rechtsstreit ungeprüfte -
Verhaltensweisen des Unterlassungsschuldners. Eine insoweit zu allgemein gefasste Verbotsformel überließe die rechtliche
Beurteilung künftiger Vorgehensweisen des Unterlassungsschuldners der Vollstreckungsinstanz und ist daher als zu unbestimmt anzusehen
und als Unterlassungsantrag unzulässig (vgl. dazu: BGH GRUR 1962, 310 - Gründerbildnis; für den Fall des "Eindruckerweckens").
Zudem erfasst die Wendung "unter Vorspiegeln einer Erwerbsabsicht" einen inneren Vorgang der fehlenden Erwerbsabsicht, ohne
dass damit ein bestimmtes nach außen erkennbares Verhalten definiert wäre.
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 02.09.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1738
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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