Kurz notiert // Datenschutzrecht
Bundesgerichtshof
Kontrollverlust als immaterieller Schaden - Leitentscheidung über Ansprüche im Zusammenhang mit einem Datenschutzvorfall bei Facebook (Scraping)
BGH, Urteil vom 18.11.2024 - VI ZR 10/24; Vorinstanzen: LG Bonn, Urteil vom 29.03.2023 - 13 O 125/22: OLG Köln, Urteil vom 07.12.2023 - 15 U 67/23
MIR 2024, Dok. 093, Rz. 1
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Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 18.11.2024 (VI ZR 10/24) in einem Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO n.F. entschieden, dass auch der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten infolge eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung ein immaterieller Schaden im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO sein kann. Ebenfalls bejahte das Gericht ein Feststellungsinteresse sowie Unterlassungs- und Kostenerstattungsansprüche.
Zur Sache:
Die Beklagte (Meta Platforms) ist die Betreiberin von Facebook. Anfang April 2021 wurden Daten von ca. 533 Millionen Facebook-Nutzern aus 106 Ländern im Internet öffentlich verbreitet. Unbekannte Dritte hatten sich zuvor den Umstand zu Nutze gemacht, dass die Beklagte es in Abhängigkeit von den Suchbarkeits-Einstellungen des jeweiligen Nutzers ermöglicht, dass dessen Facebook-Profil mithilfe seiner Telefonnummer gefunden werden kann. Die unbekannten Dritten ordneten durch die in großem Umfang erfolgte Eingabe randomisierter Ziffernfolgen über die Kontakt-Import-Funktion Telefonnummern den zugehörigen Nutzerkonten zu und griffen die zu diesen Nutzerkonten vorhandenen öffentlichen Daten ab (sogenanntes Scraping).
Von diesem Scraping-Vorfall waren auch Daten des Klägers (Nutzer-ID, Vor- und Nachname, Arbeitsstätte und Geschlecht) betroffen, die auf diese Weise mit dessen Telefonnummer verknüpft wurden. Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um eine Ausnutzung des Kontakt-Tools zu verhindern. Ihm stehe wegen des erlittenen Ärgers und des Kontrollverlusts über seine Daten Ersatz für immaterielle Schäden zu. Darüber hinaus begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm in diesem Zusammenhang auch alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Auskunft in Anspruch.
Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO Schadensersatz in Höhe von EUR 250,00 zugesprochen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers insgesamt abgewiesen. Weder reiche der bloße Kontrollverlust zur Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO aus noch habe der Kläger hinreichend substantiiert dargelegt, über den Kontrollverlust als solchen hinaus psychisch beeinträchtigt worden zu sein.
Mit Beschluss vom 31.10.2024 (VI ZR 10/24) hat der Bundesgerichtshof das Revisionsverfahren zum Leitentscheidungsverfahren gemäß § 552b ZPO n.F. bestimmt (Pressemitteilung 206/24; vgl. MIR 2024, Dok. 089). Nachdem die Revision nicht zurückgenommen wurde oder sich anderweitig erledigt hat, hat der Bundesgerichtshof jedoch am 11. November 2024 mündlich zur Sache verhandelt und nach allgemeinen Regeln durch Urteil über die Revision des Klägers entschieden.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Kontrollverlust kann immaterieller Schaden im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO sein
Die Revision des Klägers war teilweise erfolgreich.
Der Anspruch des Klägers auf Ersatz immateriellen Schadens lasse sich nicht mit der Begründung des Berufungsgerichts verneinen. Nach der für die Auslegung des Art. 82 Abs. 1 DSGVO maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH könne auch der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten infolge eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung ein immaterieller Schaden im Sinne der Norm sein. Weder müsse insoweit eine konkrete missbräuchliche Verwendung dieser Daten zum Nachteil des Betroffenen erfolgt sein noch bedürfe es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.
Feststellungsinteresse, Unterlassung, Kostenerstattung
Erfolg habe die Revision auch, soweit das Berufungsgericht die Anträge des Klägers auf Feststellung einer Ersatzpflicht für zukünftige Schäden, auf Unterlassung der Verwendung seiner Telefonnummer, soweit diese nicht von seiner Einwilligung gedeckt ist, und auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten abgewiesen hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehle es nicht an dem notwendigen Feststellungsinteresse des Klägers, da die Möglichkeit des Eintritts künftiger Schäden unter den Umständen des Streitfalles ohne Weiteres besteht. Der genannte Unterlassungsanspruch sei hinreichend bestimmt und dem Kläger fehle insoweit auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen (weiterer Unterlassungsantrag und Auskunftsantrag) blieb die Revision hingegen ohne Erfolg.
Zurückverweisung: Hinweise zur Verletzung des Grundsatzes der Datenminimierung und Bemessung des immateriellen Schadens - Kontrollverlust EUR 100,00?!
Im Umfang des Erfolges der Revision hat der Bundesgerichtshof die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Für die weitere Prüfung hat der Bundesgerichtshof das Berufungsgericht zum einen darauf hingewiesen, dass die von der Beklagten vorgenommene Voreinstellung der Suchbarkeitseinstellung auf "alle" nicht dem Grundsatz der Datenminimierung entsprochen haben dürfte, wobei das Berufungsgericht ergänzend die Frage einer wirksamen Einwilligung des Klägers in die Datenverarbeitung durch die Beklagte zu prüfen haben wird. Zum anderen hat der Bundesgerichtshof Hinweise zur Bemessung (§ 287 ZPO) des immateriellen Schadens aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO erteilt und ausgeführt, warum unter den Umständen des Streitfalles von Rechts wegen keine Bedenken dagegen bestünden, den Ausgleich für den bloßen Kontrollverlust in einer Größenordnung von EUR 100,00 zu bemessen.
(tg) - Quelle: PM Nr. 218/2024 des BGH vom 18.11.2024
Zur Sache:
Die Beklagte (Meta Platforms) ist die Betreiberin von Facebook. Anfang April 2021 wurden Daten von ca. 533 Millionen Facebook-Nutzern aus 106 Ländern im Internet öffentlich verbreitet. Unbekannte Dritte hatten sich zuvor den Umstand zu Nutze gemacht, dass die Beklagte es in Abhängigkeit von den Suchbarkeits-Einstellungen des jeweiligen Nutzers ermöglicht, dass dessen Facebook-Profil mithilfe seiner Telefonnummer gefunden werden kann. Die unbekannten Dritten ordneten durch die in großem Umfang erfolgte Eingabe randomisierter Ziffernfolgen über die Kontakt-Import-Funktion Telefonnummern den zugehörigen Nutzerkonten zu und griffen die zu diesen Nutzerkonten vorhandenen öffentlichen Daten ab (sogenanntes Scraping).
Von diesem Scraping-Vorfall waren auch Daten des Klägers (Nutzer-ID, Vor- und Nachname, Arbeitsstätte und Geschlecht) betroffen, die auf diese Weise mit dessen Telefonnummer verknüpft wurden. Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um eine Ausnutzung des Kontakt-Tools zu verhindern. Ihm stehe wegen des erlittenen Ärgers und des Kontrollverlusts über seine Daten Ersatz für immaterielle Schäden zu. Darüber hinaus begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm in diesem Zusammenhang auch alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Auskunft in Anspruch.
Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO Schadensersatz in Höhe von EUR 250,00 zugesprochen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers insgesamt abgewiesen. Weder reiche der bloße Kontrollverlust zur Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO aus noch habe der Kläger hinreichend substantiiert dargelegt, über den Kontrollverlust als solchen hinaus psychisch beeinträchtigt worden zu sein.
Mit Beschluss vom 31.10.2024 (VI ZR 10/24) hat der Bundesgerichtshof das Revisionsverfahren zum Leitentscheidungsverfahren gemäß § 552b ZPO n.F. bestimmt (Pressemitteilung 206/24; vgl. MIR 2024, Dok. 089). Nachdem die Revision nicht zurückgenommen wurde oder sich anderweitig erledigt hat, hat der Bundesgerichtshof jedoch am 11. November 2024 mündlich zur Sache verhandelt und nach allgemeinen Regeln durch Urteil über die Revision des Klägers entschieden.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Kontrollverlust kann immaterieller Schaden im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO sein
Die Revision des Klägers war teilweise erfolgreich.
Der Anspruch des Klägers auf Ersatz immateriellen Schadens lasse sich nicht mit der Begründung des Berufungsgerichts verneinen. Nach der für die Auslegung des Art. 82 Abs. 1 DSGVO maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH könne auch der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten infolge eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung ein immaterieller Schaden im Sinne der Norm sein. Weder müsse insoweit eine konkrete missbräuchliche Verwendung dieser Daten zum Nachteil des Betroffenen erfolgt sein noch bedürfe es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.
Feststellungsinteresse, Unterlassung, Kostenerstattung
Erfolg habe die Revision auch, soweit das Berufungsgericht die Anträge des Klägers auf Feststellung einer Ersatzpflicht für zukünftige Schäden, auf Unterlassung der Verwendung seiner Telefonnummer, soweit diese nicht von seiner Einwilligung gedeckt ist, und auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten abgewiesen hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehle es nicht an dem notwendigen Feststellungsinteresse des Klägers, da die Möglichkeit des Eintritts künftiger Schäden unter den Umständen des Streitfalles ohne Weiteres besteht. Der genannte Unterlassungsanspruch sei hinreichend bestimmt und dem Kläger fehle insoweit auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen (weiterer Unterlassungsantrag und Auskunftsantrag) blieb die Revision hingegen ohne Erfolg.
Zurückverweisung: Hinweise zur Verletzung des Grundsatzes der Datenminimierung und Bemessung des immateriellen Schadens - Kontrollverlust EUR 100,00?!
Im Umfang des Erfolges der Revision hat der Bundesgerichtshof die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Für die weitere Prüfung hat der Bundesgerichtshof das Berufungsgericht zum einen darauf hingewiesen, dass die von der Beklagten vorgenommene Voreinstellung der Suchbarkeitseinstellung auf "alle" nicht dem Grundsatz der Datenminimierung entsprochen haben dürfte, wobei das Berufungsgericht ergänzend die Frage einer wirksamen Einwilligung des Klägers in die Datenverarbeitung durch die Beklagte zu prüfen haben wird. Zum anderen hat der Bundesgerichtshof Hinweise zur Bemessung (§ 287 ZPO) des immateriellen Schadens aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO erteilt und ausgeführt, warum unter den Umständen des Streitfalles von Rechts wegen keine Bedenken dagegen bestünden, den Ausgleich für den bloßen Kontrollverlust in einer Größenordnung von EUR 100,00 zu bemessen.
(tg) - Quelle: PM Nr. 218/2024 des BGH vom 18.11.2024
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 18.11.2024
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3422
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