Rechtsprechung
OLG Köln, Urteil vom 03.07.2008 - 15 U 43/08
spickmich.de - Zur Zulässigkeit der Bewertung und Benotung von Lehrern unter Nennung und Veröffentlichung persönlicher Daten der Betroffenen auf einem Internetportal.
BGB § 823 Abs. 1, Abs. 2, § 1004; BDSG §§ 3, 4, 28; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1
Leitsätze:*1. In der Bewertung von Lehrern auf einem Internetportal (hier: spickmich.de) liegt keine
Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der betroffenen Lehrer gemäß Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m.
§§ 823, 1004 BGB analog, wenn die Nennung des Namens der Lehrer, ihrer beruflichen Tätigkeit und der unterrichteten
Fächer - wahre - Tatsachenbehauptungen und die vorgenommenen bzw. vorzunehmenden Bewertungen Meinungsäußerungen
bzw. Werturteile darstellen, die keine reine Schmähkritik, eine Formalbeleidigung oder einen Angriff
auf die Menschenwürde darstellen.
2. Bewertungen von Lehrern auf einem Internetportal unter den Kriterien "guter Unterricht", "fachlich kompetent", "motiviert",
"faire Noten", "faire Prüfungen" und "gut vorbereitet" beziehen sich auf die konkrete Ausübung der beruflichen
Tätigkeit und damit auf die Sozialsphäre der Lehrer. Derartige Bewertungen stellen keine Schmähkritik oder auch
ein An-den-Pranger-Stellen der Lehrer dar. Der Einzelne muss grundsätzlich auf die Beobachtung seines Verhaltens durch
eine breite Öffentlichkeit wegen der Wirkungen, die seine Tätigkeit für andere hat, und auf eine Berichterstattung über die
berufliche Sphäre einstellen (vgl. BVerfG, VersR 1981, 384, 385; BGH, VersR 2007, 511, 512).
3. Im Rahmen eines Internet-Bewertungsportals für Lehrer rechtfertigt das Maß der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts
der Lehrer die Einbuße an Meinungsfreiheit durch die Untersagung der Bewertungen nicht. Dies gilt umso mehr, wenn im Rahmen des
betreffenden Portals die Möglichkeit nicht besteht, die Lehrerinnen und Lehrer uneingeschränkt "öffentlich" zu bewerten und
kein ungeschränkter Zugang auf die Bewertungen im Internet gegeben ist und Regularien vorhanden sind, die manipulative oder veraltete
Bewertungen verhindern können.
4. Zwar betreffen Bewertungsmöglichkeiten mit den Kriterien "cool und witzig", "menschlich", "beliebt" und "vorbildliches Auftreten"
an ein Auftreten der Lehrer innerhalb des schulischen Wirkungskreises an, der die bewerteten Lehrer auch in ihrer
Persönlichkeit beurteilt, so dass jedenfalls auch die Privatsphäre des Beurteilten betroffen ist. Steht allerdings nicht eine
Diffamierung oder Herabsetzung der Person als Ziel dieser Äußerungen im Vordergrund, sondern vielmehr die Bewertung von
Eigenschaften, die sich jedenfalls auch im schulischen Wirkungskreis spiegeln, genießt auch hier die Meinungsfreiheit Vorrang.
Dabei ist bei der Diktion und Formulierung der Kriterien auch auf den Sprachgebrauch der Zielgruppe (hier: Schüler und Jugendliche)
abzustellen. Zudem schützt das Grundrecht der Meinungsfreiheit die Meinungskundgabe unabhängig davon, ob die Äußerung rational
oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten
wird (BVerfG NJW 2001, 3613; BVerfG NJW 1972, 811). Auch eine polemische oder verletzende Formulierung der Aussage entzieht sie nicht
dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG (BVerfG NJW 2001, 2613; BVerfG NJW 2002, 1192, 1193). Vor allem reicht der Schutz des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2. Abs. 1 GG nicht so weit, dass er dem Einzelnen einen Anspruch darauf verleiht, in der
Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie er sich selber sieht oder von anderen gesehen werden möchte (BVerfG NJW 1999, 1322, 1323).
5. Auch Meinungen, die lediglich unter einer E-Mail-Adresse oder auch anonym im Internet abgegeben werden, genießen den Schutz
der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG (vgl. BGH, Urteil vom 27.03.2007 - Az. VI ZR 101/06 =
MIR 2007, Dok. 222).
6. Werden Äußerungen eines Unterrichtenden in seiner dienstlichen Funktion (etwa im geschlossenen Klassen- oder Kursverband) abgegeben,
handelt es sich um Äußerungen, die nicht etwa dem Privatbereich unterfallen, sondern um solche, die dem beruflichen
Wirkungskreises und damit der Sozialsphäre zuzuordnen sind. Das korrekte Zitieren diese Äußerungen ist erlaubt (hier:
unter Vergleich zu Lehrerzitaten in Schülerzeitungen).
7. Der Einzelne hat keine absolute, uneingeschränkte Herrschaft über "seine Daten", denn er entfalten seine Persönlichkeit innerhalb
der sozialen Gemeinschaft. In dieser stellt aber die Information, auch soweit sie personenbezogen ist, einen Teil der sozialen
Realität dar, der nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Der Einzelne muss grundsätzlich auch Einschränkungen
seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinnehmen, wenn uns soweit solche Beschränkungen bei der Gesamtabwägung
zwischen Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der diesen rechtfertigten Gründe gerechtfertigt ist.
8. Werden personenbezogene Daten wie der Name und die berufliche Tätigkeit einer Person aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen
und im gleichen oder in einem anderen Medium wiedergegeben, liegt - soweit die Daten zuvor freiwillig eingestellt wurden (hier:
auf der Schulhomepage) - keine unangemessen Belastung vor und eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht
gegeben (BGH NJW 1991, 1532, 1533).
9. § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG ist Rechtsvorschrift im Sinne von § 4 Abs. 1 BDSG. Danach ist die Übermittlung und Speicherung von
Daten zur Erfüllung eines Geschäftszweckes aus allgemein zugänglichen Quellen zulässig, es sei denn, das ein schutzwürdiges Interesse
an dem Ausschluss der Verbreitung oder Nutzung überwiegt. Bei einer Schulhomepage, auf der Daten von Lehrern eingestellt wurden, handelt
es sich insoweit um einen allgemein zugängliche Quelle.
10. Zwar findet das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranke in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze
(hier: § 28 BDSG). Allerdings müssen diese Schranken im Lichte der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit gesehen werden und ihrerseits
aus der Erkenntnis dessen weitereichender Bedeutung ausgelegt werden und in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung selbst wieder
eingeschränkt werden (BVerfG NJW. 1976, 1680, 1681). Die bei der Bewertung von Lehrern hier einzubeziehende Abwägung auch mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der betroffenen Lehrer fällt jedoch bei der Verwendung von - nicht sensiblen - Daten aus allgemein
zugänglichen Quellen und auch im Hinblick darauf, dass die Bewertungen der Lehrer als Werturteile selbst personenbezogene Daten i.S.d. § 3 BDSG darstellen können zu Gunsten der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG aus, wenn das allgemein Persönlichkeitsrecht der Lehrer nicht entgegensteht (hier: verneint, vgl. Argumentation Leitsätze 1-9).
Das Gericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Ein besonderer Dank für die Übersendung der Entscheidung gilt Herrn RA Thorsten Feldmann, LL.M., Berlin (www.jbb.de).
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 05.07.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1665
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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