Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 31.03.2022 - 6 W 11/22
Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis für Erlass einer einstweiligen Verfügung - Zur Nachfragepflicht des Gläubigers über den Umfang einer nach erfolgter Abmahnung abgegebenen Unterlassungserklärung
UWG § 12; BGB §§ 150 Abs. 1, 151 Satz 1
Leitsätze:*1. Durch die Verletzungshandlung entsteht zwischen Unterlassungsgläubiger und Unterlassungsschuldner ein Schulverhältnis, das durch die Abmahnung konkretisiert wird. Der Inhalt der wettbewerbsrechtlichen Sonderbeziehung wird in besonderem Maße durch Treu und Glauben bestimmt und ist geeignet, Aufklärungs- und Antwortpflichten zu begründen (BGH, Urteil vom 08.11.2007 - I ZR 172/05 - EURO und Schwarzgeld; BGH, Urteil vom 01.12.1994 - I ZR 139/92- Kosten bei unbegründeter Abmahnung). Die sich aus dieser wettbewerbsrechtlichen Sonderbeziehung ergebenden Pflichten bestehen grundsätzlich für beide Seiten (Unterlassungsgläubiger und Unterlassungsschuldner). Hierzu zählt eine Aufklärungspflicht als allgemeine Pflicht, die jeweils andere Seite auf entscheidungserhebliche Umstände hinzuweisen, die im Falle des Ausbleibens eines Hinweises zu überflüssigen und aussichtslosen Prozessen führen können. So kann der Abmahner bspw. dazu verpflichtet sein, auf etwaige Mängel der Unterlassungserklärung hinzuweisen, sollte es sich erkennbar um ein bloßes Versehen handeln (dazu auch OLG Hamburg, Beschluss vom 19.12.1985 - 3 W 135/85).
2. Auch bei nicht ausdrücklich erklärter Annahme einer Unterlassungserklärung kann sich zwischen Unterlassungsschuldner und Unterlassungsgläubiger ein vertragliches Schuldverhältnis ergeben. Wird eine Unterlassungserklärung - bei ansonsten bestehender Inhaltsgleichheit - statt mit einer festen Vertragsstrafe mit einem Vertragsstrafeversprechen nach Hamburger Brauch abgegeben, gilt dies nach § 150 Abs. 2 BGB als Ablehnung (des Angebots) verbunden mit einem neuen Antrag. Wird darauf die Annahme nicht ausdrücklich erklärt, muss dies einer konkludenten Annahme nicht entgegenstehen. Da der Schuldner mit seinem Angebot selbst daran interessiert ist, dass das Damokles-Schwert einer möglichen Vertragsstrafe über ihm schwebt, kann in seine Erklärung auch ein Verzicht des Zugangs der Annahme (im Sinne von § 151 Satz 1 BGB) hineingelesen werden (offengelassen in BGH, Urteil vom 18.05.2006 - I ZR 32/03 - Vertragsstrafevereinbarung). Der Schuldner muss danach stets damit rechnen, dass der Gläubiger das Angebot inzwischen angenommen hat (BGH, Urteil vom 17.09.2009 - I ZR 217/07, MIR 2010, Dok. 055 - Testfundstelle). Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - das Angebot des Schuldners sich (hier bis auf die hier gleich geeignete Vereinbarung der Vertragsstrafe) im Rahmen dessen hält, was ursprünglich gefordert war.
3. Gibt der Schuldner eine von der Gläubigerin vorformulierte Unterlassungserklärung ab, kann sich aufgrund des hierdurch begründeten Schuldverhältnisses eine Pflicht der Gläubigerin ergeben, bei Unklarheiten über den Umfang der abgegebenen Unterlassungserklärung bei der Schuldnerin nachzufragen, bevor sie einen weiteren Eilantrag stellt.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 10.05.2022
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3181
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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