Kurz notiert
RA Alexander Schultz, LL.M. (Informationsrecht)
Veranstaltungsbericht: "Internetprovider zwischen Störerhaftung und Vertragspflicht"
Veranstaltung: Praxisforum Informationsrecht - Referent: Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht Dr. Helmut Redeker - Termin: 21.02.2008
MIR 2008, Dok. 110, Rz. 1-8
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Am 21. Februar 2008 fand auf Schloss Mickeln, dem Gästehaus der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf, die zweite
Veranstaltung des Praxisforums Informationsrecht statt. Organisiert wurde die Veranstaltung von dem Absolventennetzwerk
LL.M. Informationsrecht Düsseldorf e.V. in Kooperation mit dem Zentrum für Informationsrecht (ZfI) der Düsseldorf Law School.
2
Im zunehmenden Maße entwickelt sich das Konstrukt der allgemeinen Störerhaftung für Internetprovider zu einem ernstzunehmenden
Problem. Der Referent der Veranstaltung, RA Dr. Helmut Redeker, Fachanwalt für IT-Recht, nahm die jüngsten Entwicklungen in der
"Störer"-Rechtsprechung zum Anlass, mit den Teilnehmern der Veranstaltung die risikobehaftete Gradwanderung der Providerbranche
zwischen Prüf- und Vertragspflichten zu diskutieren.
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Zunächst erläuterte RA Dr. Redeker den Grundsatz der allgemeinen Störerhaftung anhand des BGH Urteils vom 11.03.2004, Az.
I ZR 304/01 (Internetversteigerung I). Danach könne jeder als Störer auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, der – ohne
Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines absoluten Rechts
beitrage, sofern darüber hinaus eine Verletzung von Prüfpflichten vorliege. Dieser grundsätzlichen Einleitung folgte eine
systematische Darstellung der Provider-Haftungsprivilegierungen nach den §§ 8 bis 10 TMG (Grundsatz der Nichtverantwortlichkeit
für fremde Inhalte), wobei Redeker zutreffend darauf hinwies, dass nach Ansicht des BGH die §§ 8 bis 10 TMG auf
Unterlassungsansprüche aufgrund der Regelung des § 7 Abs. 2 S. 2 TMG nicht anzuwenden sind.
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Da § 7 Abs. 2 S. 1 TMG wiederum allgemeine Prüfpflichten ausschließe und § 7 Abs. 2 S. 2 TMG insoweit nicht vorgehe, könne
auf Providerseite – so Redeker – eine Prüfpflicht erst nach Hinweis auf einen Erstverstoß begründet werden. Dr. Redeker
hob hervor, dass in der Praxis das Problem vor allem darin liege, dass die Prüfung nicht nur hinsichtlich der Verhinderung
gleicher Verletzungen durch den gleichen Verletzer zu erfolgen habe, sondern vielmehr im Hinblick auf die Verhinderung
genereller gleichartiger Verletzungshandlungen. Zwar sei im Markenrecht noch ungeklärt, ob dies auch für die Verletzung
anderer Marken durch den gleichen Verletzer oder gar für Verletzungen durch Dritte gelte, doch im Bereich des Jugendschutzrechts
habe der BGH seine Ansicht bereits dahingehend konkretisiert, dass auch das Angebot gleicher jugendgefährdender Medien durch
andere Anbieter und das Angebot anderer jugendgefährdender Medien durch den gleichen Anbieter zu verhindern sei
(BGH, Urteil vom 12.7.2007, Az. I ZR 18/04).
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Im Weiteren leitete Herr Dr. Redeker anhand des Beispiels einer Auktionsplattform auf die bestehenden Vertragspflichten zwischen
Hostprovider und Kunde über. So müsse ein Auktionsplattformbetreiber grundsätzlich keine rechtswidrige Ware versteigern lassen
und rechtswidrige Inhalte könnten dem Grunde nach von ihm gesperrt und/ oder gelöscht werden. Der Konflikt zwischen Vertragspflicht
des Providers (= Onlinestellung des Warenangebots) und der Störerhaftung für rechtswidrige Angebote sei dadurch aber nur
scheinbar gelöst. So sei zum einen ungeklärt, wer letztlich Auktionsangebote auf rechtswidrige Inhalte hin überprüfen müsse,
zum anderen existiere derzeitig keine Prüfsoftware, die verletzende Angebote hundertprozentig ausfiltern könne. Im Übrigen
bestehe stets das Risiko, dass rechtmäßige Inhalte fehlerhaft ausgefiltert würden. Praktisch sei dies nur über vorübergehende
Sperrungen bei Verdacht oder (offensichtlich nicht unbegründeten) Abmahnungen zu lösen. Dauerhaft dürfe ein Provider nur bei
tatsächlich rechtswidrigen Inhalten eine Löschung vornehmen.
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Bezüglich der Anforderungen, die an eine Prüfsoftware zu stellen sind, wies der Referent darauf hin, dass die Rechtsprechung
insoweit bisher wenig zu den Maßstäben und der Zumutbarkeit gesagt habe. Vielmehr habe der BGH die Entscheidung in das
Vollstreckungsverfahren verlegt und festgestellt, dass es einem Auktionshaus freistehe, durch Filtersoftware identifizierte
Angebote auch dann zu sperren, wenn diese nicht indiziert seien und zwar auch dann, wenn sie einem Diskriminierungsverbot
unterliegen würden. Zumindest für einen Hostprovider bedeute dies, dass die Filtersoftware so zu konfigurieren sei, dass
sie einen hohen Schutz sicherstelle, selbst, wenn dadurch die Veröffentlichung rechtmäßiger Inhalte verhindert werde.
Einschränkend wies Herr Dr. Redeker allerdings darauf hin, dass noch ungeklärt sei, ob bzgl. der Anforderungen an die
Prüfsoftware möglicherweise nach dem Gewicht des Schutzgutes abzustufen sei (hoher Schutz bei Jugendgefährdung – niedrigerer
Schutz bei anderen Gütern).
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Gegen Ende seines Vortrages beleuchtete Herr Dr. Redeker den Kreis der betroffenen Provider. Hervorgehoben wurden
vor allem Auktionsplattformbetreiber und Forenbetreiber. Letzteren drohe bei eigener Veranlassung sogar eine Vorabprüfungspflicht.
Bei Access-Providern erscheine hingegen die Annahme von Prüfpflichten sehr fraglich, da überhaupt kein Zurechnungszusammenhang
gegeben sei. Access-Provider seien lediglich für die Zugangsvermittlung zum Internet verantwortlich und taugliche Maßnahmen
(= Sperrungen) seien weder möglich noch verhältnismäßig.
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Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich eine rege Diskussion unter den Teilnehmern hinsichtlich der Kriterien
für Prüfsoftware. Ebenfalls wurde die Frage aufgeworfen, ob die Bestrebungen der Internet-Provider im Bereich des
Jugendschutzes und der insoweit getroffenen Selbstverpflichtungen auf europäischer Ebene nicht auf lange Sicht zu einer
Selbstschädigung der Access-Provider in Bezug auf Vorabprüfpflichten führen. Allgemeiner Konsens der Veranstaltung war,
dass die mitunter sehr unterschiedlichen obergerichtlichen Entscheidungen bzgl. der Prüfpflichten für ein erhebliches Maß
an Unsicherheit in der Providerbranche gesorgt haben. Insbesondere bleibt mit Spannung abzuwarten, wie sich der BGH
zukünftig in Bezug auf Access-Provider positionieren wird.
Online seit: 06.04.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1575
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