Rechtsprechung
LG Köln, Urteil vom 30.01.2008 - 28 O 319/07
spickmich.de reloaded - Die Bewertung und Benotung von Lehrern und Veröffentlichung persönlicher Daten dieser im Rahmen einer Internet-Bewertungsplattform kann zulässig sein.
BGB §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2, 1004; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; BDSG §§ 3, 28 Abs. 1 Nr. 3
Leitsätze:*1. Die Bewertung und Beurteilung von Lehrern auf einer Internetplattform greifen dann nicht
in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Lehrer ein, wenn die Kriterien
der jeweiligen Bewertungsmodule und "Zeugnisfunktionen" im Zusammenhang mit der
Nennung der personenbezogenen Daten der betroffenen Lehrer Werturteile und
insgesamt Meinungsäußerungen darstellen. Ein derartiges Bewertungsforum fällt dann in den
Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 GG (vgl. OLG Köln, Urteil
vom 27.11.2007, Az. 15 U 142/07 =
MIR 2007, Dok. 410).
2. Dies gilt jedenfalls soweit eine Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen
(hier: Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. i.V.m. Art. 1 Abs. 1, und Recht auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 5 Abs. 1 GG)
nicht zu einem anderen Ergebnis führt. Insoweit findet auch eine wertende Kritik regelmäßig
ihre Grenze dort, wo es sich um eine reine Schmähkritik oder eine Formalbeleidigung handelt oder sich die
Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde darstellt (BVerfG NJW 1999, 2358, 2359; BVerfG NJW 1999, 1322, 1324;
BGH NJW 2002, 1192, 1193; OLG Köln, Urteil vom 27.11.2007, Az. 15 U 142/07 =
MIR 2007, Dok. 410).
3. Die Veröffentlichung von Daten zu Namen, Fächern und der Dienstzugehörigkeit zu einer Schule eines Lehrers, betreffen
grundsätzlich keine sensiblen Informationen, wenn diese Daten von jedermann auf der Homepage der Schule - hier eingestellt
mit Einverständnis des Betroffenen - abgerufen werden können und die Daten auch zutreffend sind.
Dann ist die Bekanntgabe solcher Daten auch keine ehrenrührige Tatsache.
4. Die Bewertung eines Lehrers mit Kriterien wie "guter Unterricht", "fachlich kompetent", "motiviert", "faire Noten" etc.
sowie deren negatives Äquivalent betreffen nicht das Erscheinungsbild oder die allgemeine Persönlichkeit des bewerteten
Lehrers. Eine solche Bewertung bezieht sich auf die konkrete Ausübung der beruflichen Tätigkeit und die
(berufliche) Sozialsphäre.
Ebenfalls zulässig sind - zwar auch das allgemeine Persönlichkeit betreffende - Kriterien, wie "cool und witzig", "menschlich",
"vorbildliches Auftreten" etc., wenn nicht eine Diffamierung oder Herabsetzung der Person, sondern die Bewertung jedenfalls
auch im schulischen Wirkungskreis im Vordergrund steht. Zulässig unter diesen Kriterien ist auch die Anpassung der
Bewertungskriterien an den Sprachgebrauch der Nutzer der betreffenden Plattform (hier etwa: "cool" als
jugendsprachliches Wort).
5. Der Schutz der Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG reicht nicht soweit, dass er dem
Einzelnen einen Anspruch darauf verleiht, in der Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie er sich selber
sieht oder von anderen gesehen werden möchte. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit schützt grundsätzlich
die Meinungskundgabe unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder
grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird (BVerfG NJW 2001, 3613;
BVerfG NJW 1972, 811). Die gilt auch für polemische oder gar verletzende Formulierungen der jeweiligen Aussage
(BVerfG NJW 2001, 2613; BVerfG NJW 2002, 1192).
6. Allein die Tatsache, dass im Rahmen einer Internetplattform Bewertungen anonym erfolgen können und
gegebenenfalls durch gezielt falsche Angaben Manipulationsmöglichkeiten gegeben sind, ändert an der
Zulässigkeit einer solchen Bewertungsfunktion nichts. Auch bei Evaluationen im Hochschul- und
Schulbereich ist es üblich, solche anonym durchzuführen. Dies gilt umso mehr als die betreffende Plattform Möglichkeiten
(auch für die Betroffenen) bietet Unstimmigkeiten einfach mitzuteilen.
7. Zitate von Äußerungen, die Lehrer im Klasen- oder Kursverband getätigt haben, unterfallen nicht dem Privatbereich, sondern
sind dem beruflichen Wirkungskreis der Sozialsphäre zuzuordnen. Werden Äußerungen eines Lehrers in seiner
Funktion als Unterrichtender wiedergegeben, ist das korrekte Zitieren dieser Äußerungen erlaubt.
8. Bei persönlichen Daten von Lehrern (§ 3 BDSG; hier: Name, Schule, unterrichtete Fächer), die auf der Webseite einer Schule
- vom Betroffenen willentlich - im Internet bekannt gemacht worden sind, handelt es sich um allgemein zugängliche
Daten i.S.v. § 28 Abs. 1 Nr. 3 BDSG. Die geschäftsmäßige Erhebung, Speicherung und Verbreitung ist zulässig, soweit
schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht offensichtlich überwiegen (hier: verneint).
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 24.02.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1524
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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