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OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 11.12.2007 - 11 U 76/06
Abstracts - Die Wiedergabe einer Kurzfassung von Buchrezensionen Dritter (Abstracts) kann zulässig sein, wenn das Abstract einen eigenständigen schöpferischen Gehalt aufweist der dazu führt, dass ein ausreichender innerer Abstand zum benutzen Werk eingehalten wird.
UrhG §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 12 Abs. 2, §§ 16, 23, 24, 51 Nr. 2, 97; GG Art. 5 Abs. 1
Leitsätze:*1. Aus § 12 Abs. 2 UrhG ist im Wege des Umkehrschlusses zu entnehmen, dass nach
Veröffentlichung des Originalwerkes Inhaltsmitteilungen erlaubt sein können,
dass also allein der Umstand, dass der Inhalt eines veröffentlichten Werkes mitgeteilt wird,
nach dem Willen des Gesetzgebers nicht für sich genommen den Tatbestand einer unfreien
und damit nur mit Zustimmung des Urhebers statthaften unfreien Bearbeitung des Originalwerkes erfüllt.
2. Danach hängt die urheberrechtliche Zulässigkeit der Wiedergabe von Kurzfassungen von Originalrezensionen (Abstracts)
davon ab, ob in ihnen eine freie Nutzung der Originalrezensionen i.S.v. § 24 UrhG oder eine
unfreie Bearbeitung i.S.v. § 23 UrhG zu sehen ist.
3. Voraussetzung für eine freie Benutzung nach § 24 Abs.1 UrhG ist zunächst ein eigenes
Werkschaffen des Abstract-Verfassers. Die eigene persönliche Schöpfung liegt hierbei
in der Ermittlung des Kerngehalts der Original-Rezensionen und in der
Komprimierung der gesamten Rezension auf diesen Kerngehalt. Die schöpferische Leistung der Abstract-Verfasser
besteht danach darin, auf knappstem Raum den wesentlichen Inhalt der deutlich umfangreicheren
Original-Rezensionen wiederzugeben. Dies entspricht vom Niveau her dem Schaffen des Autors
eines Sammelwerks nach § 4 Abs.1 UrhG, freilich mit der Maßgabe, dass hier nicht zusammengetragen, sondern komprimiert wird.
4. Entscheidend für die Abgrenzung zwischen freier Benutzung nach § 24 UrhG und unfreier Bearbeitung
nach § 23 UrhG ist grundsätzlich, ob angesichts der Eigenart des neuen Werkes die entlehnten
eigenpersönlichen Züge des geschützten Werkes verblassen (BGH GRUR 1994, 191, 193 – Asterix-Persiflagen, st. Rspr.).
5. Im Fall von Abstracts ist anhand differenzierter Kriterien zu beurteilen, ob diese
aufgrund eines eigenschöpferischen Schaffens einen so großen inneren Abstand zum benutzten Werk einhalten,
dass sie als selbständig anzusehen sind. Ob eine solche, gegenüber dem Originalwerk selbständige Gestaltung vorliegt, hängt im
wesentlichen von folgenden Kriterien ab: (1) Der eigenständige schöpferische Gehalt des Abstract ist
umso größer, je stärker es dem Abstract-Verfasser gelingt, das besprochene Originalwerk zu komprimieren
und dabei gleichwohl dessen wesentliche Gedanken mitzuteilen; denn gerade in dieser Komprimierung besteht
seine spezifische schöpferische Leistung. Bei einem Abstract, das ohne wesentliche Verkürzung die Gedanken des
Originalwerkes wiedergibt, wird sich demgegenüber der für eine freie Nutzung ausreichende innere Abstand
kaum feststellen lassen (vgl. dazu auch OLG Frankfurt, ZUM-RD 1998, 561, 562). (2) Die Individualität
des Abstract ist ferner umso größer, je weiter es sich vom Aufbau des Originalwerkes entfernt; ein Abstract,
das in der Darstellung und Gliederung weitgehend dem Vorbild folgt, wird kaum als freie Nutzung i.S.v. § 24 UrhG
anzusehen sein. (3) Weiter ist von Bedeutung, inwieweit der Abstract-Verfasser Passagen aus dem
Originalwerk wörtlich oder fast wörtlich übernimmt. Je häufiger solche Übernahmen festzustellen sind, umso
geringer ist der Abstand zum Originalwerk zu veranschlagen. Dabei hat allerdings die wörtliche Übernahme rein
deskriptiver Begriffe außer Betracht zu bleiben, weil dem Abstract-Verfasser insoweit kein Gestaltungsspielraum
zu Gebote steht. (4) Schließlich ist auch die Wertentscheidung des Art. 5 Abs. 1 GG zu berücksichtigen
(vgl. BGH, NJW 2001, 603, 605 – Mattscheibe – zu Art. 5 Abs.3 GG), der nicht nur die
Verbreitung eigener Meinungen schützt, sondern auch die bloße Berichterstattung (BVerfGE 62, 230, 243),
und zwar auch dann, wenn hiermit kommerzielle Ziele verfolgt werden (BVerfGE 102, 347, 359). Danach ist
es geboten, die urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen – und um eine solche handelt es sich im weiteren
Sinn auch bei § 24 UrhG – im Licht der Meinungs- und Pressefreiheit auszulegen (BVerfG, NJW 2001, 598, 599 – Germania 3).
6. Die Wiedergabe von Abstracts stellt grundsätzlich auch nicht unter dem Aspekt der unzulässigen Vervielfältigung
wörtlich übernommene Textpassagen einen Urheberrechtsverstoß dar (§ 16 UrhG). Dies gilt jedenfalls dann, wenn - nur aus einem
Wort oder aus einer Abfolge mehrerer Worte bestehende - wörtlich übernommene Textpassagen keine dem
Urheberschutz zugänglichen Sprachwerke darstellen. Andernfalls könnten knappe
und knappste Wortfolgen, die mitunter nur zwei bis drei Begriffen bestehen, monopolisiert werden.
Jeder Autor müsste gewärtigen, bei Verwendung solcher Wortfolgen von dem betreffenden Urheber auf Unterlassung in
Anspruch genommen zu werden. Im Übrigen können Zitate derartiger Wortfolgen, wenn es sich bei den Ausgangswerken (hier:
Buchrezensionen) um geschützte Werke i.S.v. § 2 UrhG handelt, durch das Zitatrecht des § 51 Nr.2 UrhG gedeckt sein.
In gleicher Sache und unter gleichem Datum erging eine nahezu wortidentische Entscheidung des gleichen Senats des OLG Frankfurt a.M. (OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 11.12.2007 - Az. 11 U 75/06.
Bearbeiter: Ass. iur. Thomas Gramespacher
Online seit: 02.02.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1503
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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