Rechtsprechung
LG München I, Urteil vom 04.10.2007 - 7 O 2827/07
(Störer-) Haftung des Internetanschlussinhabers (hier: des Arbeitgebers) - Zur (Störer-) Haftung für, von Mitarbeitern und Angestellten auf dienstlich zur Verfügung gestellten Computern begangenen, Urheberrechtsverletzungen und zur Zumutbarkeit von Beschränkungs-, Prüfungs- und Überwachungsmaßnahmen.
UrhG §§ 97 Abs. 1, 100 Satz 1; BGB §§ 31, 276, 683 Satz 1, 670, 677, 823 Abs. 1, 826, 831
Leitsätze:*1. Allein aus der Tatsache, dass auf einem im Unternehmen Mitarbeitern (hier: Volontär eines Radiosenders)
bereitgestellten Computer keine Firewall installiert ist, lässt sich kein fahrlässiges Organisationsverschulden (§ 831 BGB)
der Organe des Unternehmens für Urheberrechtsverletzungen ableiten, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen,
dass Mitarbeiter insoweit rechtswidrige Handlungen vornehmen (hier: Austausch von Musikdateien über Filesharing-Programme).
Jedenfalls existiert keine allgemeine Lebenserfahrung, dass Mitarbeiter bereitgestellte Computer für Urheberrechtsverletzungen
benutzen werden.
2. Im Rahmen der Störerhaftung ist es einem Unternehmer nicht zuzumuten, ohne konkrete Anhaltspunkte den Zugriff seiner
Mitarbeiter und Angestellten auf Internetinhalte durch Filterprogramme oder gar durch Abschalten des Internetzugangs zu beschränken.
Dies gilt umso mehr als dies dazu führen kann, dass auch erwünschte und legale Internetinhalte herausgefiltert werden.
Zudem ist dem Unternehmer eine ständige manuelle Kontrolle der Tätigkeit seiner Angestellten (hier: eines Volontärs, dem die
Pflege der Internetseite eines Radiosenders alleinverantwortlich übertragen war) nicht zuzumuten. Dies gilt umso mehr, wenn
es sich um eine kleineres Unternehmen handelt, das nur schwerlich den damit verbundenen Aufwand leisten könnte und wenn dem betreffenden Unternehmen eine schützenswerte Grundrechtsposition hinsichtlich seines Tätigkeitsfeldes zugute kommt
(hier: Rundfunk- und Meinungsfreiheit für einen Rundfunksender).
3. Allein aus der Tatsache der Überlassung eines Internetanschlusses kann ohne weitere konkrete Anhaltspunkte einer
drohenden Rechtsverletzung durch den unmittelbar Handelnden keine Störereigenschaft des Anschlussinhabers abgeleitet
werden.
4. § 100 UrhG setzt voraus, dass der Arbeitnehmer oder Beauftragte im Rahmen des Tätigkeitsbereichs des Unternehmens die
Rechtsverletzung begangen hat. Bei Handlungen, die nicht dem Unternehmen, sondern allein dem Handelnden zu Gute kommen,
scheidet eine Zurechnung aus (BGH, Urteil vom 19.04.2007, Az. I ZR 92/04 - Gefälligkeit; hier hatte der Volontär
nur bei Gelegenheit dienstlicher Obliegenheiten und rein privat sowie unter Verstoß gegen arbeitsrechtliche Anweisungen und Pflichten
gehandelt und die fraglichen Musikdateien weder im Radioprogramm des Senders gesendet noch auf dessen Internetseiten
zugänglich gemacht).
5. Die Geltendmachung einer unberechtigten Geldforderung stellt keinen unerlaubten Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB dar, da es an der Zielgerichtetheit des Eingriffs fehlt.
6. Die Kosten seiner Gegenabmahnung kann der Abgemahnte nur dann ausnahmsweise erstattet verlangen kann,
wenn die Abmahnung in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht auf offensichtlich unzutreffenden
Annahmen beruht, bei deren Richtigstellung mit einer Änderung der Auffassung des vermeintlich Verletzten
gerechnet werden kann, oder wenn seit der Abmahnung ein längerer Zeitraum verstrichen ist und
der Abmahnende in diesem entgegen seiner Androhung keine gerichtlichen Schritte eingeleitet hat (vgl.
WRP 2004, 1032 - Gegenabmahnung mwN; WRP 2006, 106, 107 - unberechtigte Abmahnung).
Bearbeiter: Thomas Gramespacher
Online seit: 05.01.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1467
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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