Rechtsprechung
OLG Naumburg, Beschluss vom 18.07.2007 - 10 W 37/07
Abmahnungen sind kein "Kampfmittel" - Eine Streitwertbemessung von 2.000 EUR je Fehler einer Widerrufsbelehrung kann im Hinblick auf die konkrete Interessenlage angemessen sein.
ZPO § 3; UWG § 3
Leitsätze:*1. Gemäß § 3 ZPO ist der Streitwert nach freiem Ermessen im Wege der Schätzung zu bestimmen.
Maßgeblich für die Schätzung ist bei einer auf Unterlassung von Wettbewerbsverletzung
gerichteten Klage das Interesse, das der Kläger an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße hat.
Dieses Interesse wird maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit
für den Wettbewerber an Hand des ihm drohenden Schadens (wie Umsatzeinbußen, Marktverwirrungs- und Rufschaden)
bestimmt. Dabei sind unter anderem die Unternehmensverhältnisse bei dem Verletzer und bei dem Verletzten
(Umsätze, Größe, Wirtschaftskraft, Marktstellung und deren voraussichtliche Entwicklung), die
Intensität des Wettbewerbs zwischen beiden (in räumlicher, sachlicher und zeitlicher Hinsicht), die
Auswirkung zukünftiger Verletzungshandlungen (Ausmaß, Intensität und Häufigkeit, insbesondere durch
die bereits begangene Verletzungshandlung) und die Intensität der Wiederholungsgefahr (Verschuldensgrad,
späteres Verhalten) zu berücksichtigen (KG Berlin, Entscheidung vom 14.11.2006, Az. 5 W 254/06 = MIR 2006, Dok. 249).
Ein gewichtiges Indiz für die Schätzung des Interesses nach diesen Grundsätzen bildet die Angabe des
Streitwertes in der Klageschrift; denn diese Angabe erfolgt grundsätzlich noch unbeeinflusst vom
Ausgang des Rechtsstreits.
2. Durch eine unzutreffende Widerrufsbelehrung wird die Marktposition der Mitbewerber des Verwenders betroffen.
Allerdings fällt eine unzutreffende Widerrufsbelehrung eines einzigen Mitbewerbers (Verwenders) für die Marktposition
eines hierdurch betroffenen Mitbewerbers in der Regel kaum ins Gewicht.
Dann jedoch, wenn eine Vielzahl von Konkurrenten (hier: im Internet Computerhandel) solche Belehrungen verwendet, kann
sich dies anders darstellen. Sähe man hier jeden Einzelfall als unerheblich im Sinne von § 3 UWG an, könnte sich
der rechtstreue Mitbewerber gegen Verstöße nicht erfolgreich wehren. Durch die Summe der Einzelverstöße
käme es dann jedoch zu einer spürbaren Benachteiligung. In einem solchen Fall und im Interesse der Allgemeinheit
an der Befolgung der Verbraucherschutzbestimmungen ist daher auf - auch bei der Abmahnung von leichten
Einzelverstößen - auf die Summe der Einzelverstöße abzustellen.
3. Die Festsetzung eines Streitwertes von 2.000,– Euro je Fehler der Widerrufsbelehrung in einem Verfahren
auf Erlass einer einstweiligen Verfügung kann angemessen sein, da er die geringe
Betroffenheit der Mitbewerber in ihrer Marktposition widerspiegelt und verhindert, dass das Recht zur Abmahnung
als "Kampfmittel" zur Schädigung von Mitbewerbern eingesetzt werden kann.
Allerdings würde bei einer noch weiteren Herabsetzung des Streitwerts der Verbraucherschutz über § 8 UWG
nicht mehr wirksam realisiert. Denn kein Mitbewerber oder sonstiger Berechtigter würde abmahnen oder
eine Unterlassungsklage erheben, wenn dies für ihn von vorn herein ein Verlustgeschäft bedeutete.
Bearbeiter: Thomas Gramespacher
Online seit: 27.12.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1458
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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