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OLG Köln, Urteil vom 27.11.2007 - 15 U 142/07
www.spickmich.de - Zur Rechtmäßigkeit der "Benotung" von Lehrern auf einer Internet-Bewertungsplattform und zur Zulässigkeit der Veröffentlichung von Angaben zur Person und Wiedergabe von Zitaten der bewerteten Lehrer.
BGB §§ 823, 1004; BDSG §§ 3, 4, 28 Abs. 1 Nr. 3; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1, Art. 5
Leitsätze:*1. Ob eine Äußerung ein Werturteil oder eine Tatsachenbehauptung darstellt, ist nach ihrem Inhalt, so wie sie
in ihrem Gesamtzusammenhang von den angesprochenen Verkehrskreisen verstanden wird, zu bestimmen
(BGH NJW 1988, 1589). Vom Überwiegen des tatsächlichen Charakters wird ausgegangen, wenn die
Wertung sich als zusammenfassender Ausdruck von Tatsachenbehauptungen darstellt und damit eine Beweisaufnahme
über die Wahrheit der behaupteten tatsächlichen Umstände möglich ist (BVerfG, AfP 2003, 43, 45).
Ist die Äußerung hingegen durch die Elemente der Stellungnahme, der Beurteilung und der Wertung geprägt,
ist von einer Meinungsäußerung auszugehen (BVerfG NJW 1985, 3303; OLG Hamburg, AfP 1992, 1655).
Ebenso ist von einer Meinungsäußerung auszugehen, wenn der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm ist,
dass er gegenüber dem Wertungscharakter in den Hintergrund tritt (BGH NJW 1992, 1439, 1440; BGH NJW-RR 2001, 411).
2. Eine wertende Kritik findet regelmäßig ihre Grenze dort, wo es sich um eine reine Schmähkritik oder
eine Formalbeleidigung handelt oder sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde darstellt
(BVerfG NJW 1999, 2358, 2359; BVerfG NJW 1999, 1322, 1324; BGH NJW 2002, 1192, 1193).
3. Die Bewertungsmöglichkeit für Lehrer in einem hierfür vorgesehenen Internetportal stellt keinen
unzulässigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der bewerteten Lehrer dar, wenn die Bewertungen und deren
Kriterien nicht das Erscheinungsbild oder die allgemeine Persönlichkeit des jeweiligen Lehrers betreffen, sondern
(sach- und unterrichtsbezogen) die konkrete Ausübung dessen beruflicher Tätigkeit und damit seine Sozialsphäre.
4. Eine Schmähkritik oder auch ein "An-den-Pranger-Stellen" der bewerteten Lehrer ist durch die Möglichkeit einer
Schülerbewertung auf einem hierfür vorgesehenen Internetportal und den Umstand das auch der Name der betroffenen
Lehrer dort genannt wird, nicht gegeben. Dies gilt umso mehr, wenn die Suche eines einzelnen Namens nicht; sondern
eine Suche nur anhand der exakt zu bezeichnenden Schule möglich ist. Denn dann ist kein "öffentliches"
uneingeschränktes Bewerten und kein uneingeschränkter Zugang im Internet zu diesen Bewertungen gegeben.
5. Im Fall von Bewertungskriterien, die zwar an das Auftreten eines Lehrers innerhalb des schulischen Wirkungskreises anknüpfen
aber diesen auch in seiner allgemeinen Persönlichkeit beurteilen (hier etwa: "cool und witzig", "menschlich", "beliebt",
"vorbildliches Auftreten"), sind die Rückwirkungen dieser Äußerungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen zu
berücksichtigen und ob vor dem Hintergrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG tatsächlich
eine Pflicht zur Duldung der Äußerung besteht (BVerfG NJW 1999, 2358, 2359). Dabei ist bei der Diktion und Formulierung auch
auf den Sprachgebrauch des Äußernden (hier: von Schülern und Jugendlichen) abzustellen.
6. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt die Meinungskundgabe unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder
emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos
gehalten wird (BVerfG NJW 2001, 3613; BVerfG NJW 1972, 811). Auch eine polemische oder verletzende Formulierung der
Aussage entzieht sie nicht seinem Schutzbereich (BVerfG NJW 2001, 2613; BVerfG NJW 2002, 1192, 1193); insbesondere
reicht der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG nicht so weit, dass er dem
Einzelnen einen Anspruch darauf verleiht, in der Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie er sich
selber sieht oder von anderen gesehen werden möchte (BVerfG NJW 1999, 1322, 1323).
7. Auch Meinungen, die lediglich unter einer E-Mail-Adresse oder auch anonym im Internet abgegeben werden, genießen
den Schutz der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG (vgl. dazu: BGH, Entscheidung vom 27.03.2007, Az. VI ZR 101/06). Dass im Medium des Internets User nicht mit ihrem vollen Namen und Adresse auftreten, ist dem Internet immanent.
8. Ein (falsches) Zitat kann grundsätzlich zwar gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verstoßen, wenn
jemanden Äußerungen in den Munde gelegt werden, die er nicht getätigt hat und die seinen von ihm selbst definierten
sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigen (BVerfG NJW 1980, 2070, 2071). Bei Zitaten von Äußerungen,
die von dem Betroffenen (hier: Lehrern) im Rahmen der dienstlichen Funktion und damit im Rahmen der
Berufsausübung gegenüber Dritten abgegeben wurden handelt es sich aber um Äußerungen die nicht dem Privatbereich, sondern
dem beruflichen Wirkungskreis der Sozialsphäre zuzuordnen sind. Das - korrekte - Zitieren solcher Äußerungen ist
erlaubt.
9. Das in Art. 2 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst
die Befugnis jedes Einzelnen, die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen
(BVerfG NJW 1984, 419, 422; BVerfG NJW 1988, 2031; BGH NJW 1991, 1532, 1533). Der Einzelne hat aber keine absolute,
uneingeschränkte Herrschaft über "seine" Daten, denn er entfaltet seine Persönlichkeit innerhalb der sozialen
Gemeinschaft. In dieser stellt die Information, auch soweit sie personenbezogen ist, einen Teil der sozialen
Realität dar, der nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann.
10. Sind der Name und die berufliche Tätigkeit einer Person mit deren Einverständnis auf einer Internetseite in das
Internet eingestellt worden (hier: der Name und die unterrichteten Fächer einer Lehrerin auf der Homepage der Schule),
sind diese aus einer allgemein zugänglichen Quelle zu entnehmen. Werden diese - nicht "sensiblen" - Daten
in dem gleichen (hier: Internet-Schülerportal) oder einem anderen Medium korrekt wiedergegeben, liegt hierin
kein Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - Art. 2 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG -
der betreffenden Person. Eine nicht hinzunehmenden Belastung liegt nicht vor. Jedenfalls soweit vom
Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt, gilt etwas anderes auch dann nicht, wenn durch die Nennung der
persönlichen Daten einer Person erst eine Bewertung bzw. Beurteilung ermöglicht wird.
11. Gemäß § 4 Abs. 1 BDSG ist die Erhebung, Verbreitung und Nutzung personenbezogener Daten (§ 3 BDSG) unabhängig
von einer Einwilligung des Betroffenen zulässig, wenn diese durch das BDSG oder eine andere Vorschrift
erlaubt ist. Als solche Rechtsvorschrift greift auch § 28 Abs. 1 Nr. 3 BDSG ein, der eine Vorschrift
im Sinne von § 4 Abs. 1 BDSG darstellt. Danach ist die Übermittlung und Speicherung von Daten zur Erfüllung
eines Geschäftszweckes aus allgemein zugänglichen Quellen zulässig, es sei denn, dass ein schutzwürdiges
Interesse an dem Ausschluss der Verbreitung oder Nutzung überwiegt (hier: verneint).
12. Bei der Feststellung des schutzwürdigen Interesses des Betroffenen i.S.d. § 28 Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist eine Interessenabwägung
vorzunehmen, in die jeweiligen Grundrechtspositionen - hier: Persönlichkeitsrecht der betroffenen Lehrerin und
Meinungsäußerungsfreiheit zugunsten des Portalbetreibers - einzustellen sind. Bei § 28 BDSG handelt es sich insoweit um ein
allgemeines Gesetz i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG.
Ein besonderer Dank für die Übersendung der Entscheidung gilt Herrn RA Thorsten Feldmann, LL.M., Berlin (www.jbb.de).
Bearbeiter: Thomas Gramespacher
Online seit: 29.11.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1435
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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