Rechtsprechung
OLG Naumburg, Urteil vom 22.12.2006 - Az. 10 U 60/06
Unerwünschte E-Mail-Werbung gegenüber Gewerbetreibenden - Bereits die Übersendung einer einzigen unerwünschten Werbenachricht ("Spam") stellt einen unterlassungsrelevanten Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar.
BGB §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1; UWG §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 3, 7 Abs. 2 Nr. 3, 8 Abs. 1
Leitsätze:*1. Der Anwendung des als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Bas. 1 BGB anerkannten
Rahmensrechts des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs und ein hieraus
resultierender quasinegatorischer Abwehranspruch aus §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB wird
nicht schon wegen einer Subsidiarität gegenüber den spezialgesetzlichen Schutzvorschriften
der §§ 3, 7 Abs. 2 Nr. 3, 8 Abs. 1 UWG verdrängt. Denn der durch die E-Mail-Werbung belästigte
Unternehmer kann, wenn er nur als Marktteilnehmer
im Vertikalverhältnis und nicht als Mitbewerber im Sinne der §§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 8 Abs.
3 Nr. 1 UWG betroffen ist, nicht aus Wettbewerbsrecht nach § 8 Abs. 1 UWG vorgehen.
Ihm bleibt nur der subsidiär geltende Weg über das Deliktsrecht nach §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB.
Würde man den durch den Empfang von Werbe-E-Mails betroffenen Unternehmen aber eine Berufung auf das
Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb versagen, liefe nicht zuletzt
die Datenschutzrechtlinie 2002/58/EG im Ergebnis ins Leere (vgl. OLG Düsseldorf MMR 2004, 820 – 821).
Denn die Betroffenen würden in diesem Fall darauf angewiesen sein, dass Mitbewerber oder aber
Verbände, abhängig von den jeweiligen Interessen, tätig werden.
2. Durch die per elektronischer Post unaufgefordert übermittelte Werbung wird der Schutzbereich
des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes der empfangenden Gewerbetreibenden verletzt.
Insbesondere liegt auch ein unmittelbarer, betriebsbezogener Eingriff vor.
3. Unerwünschte Werbezusendungen stellen wegen ihres besonders belästigenden Charakters in der
Regel einen unterlassungsrelevanten Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
des E-Mail-Empfängers dar. Dies gilt selbst dann, wenn allein die Übersendung einer einzigen
Werbenachricht in Rede steht.
4. Eine per elektronischer Post übersandte Werbe-E-Mail ist - auch wenn sie gegenüber Gewerbetreibenden
erfolgt - aufgrund ihres besonders belästigenden Charakters nur bei vorherigen ausdrücklichem oder konkludentem
Einverständnis zulässig. Ansonsten begründet sie eine nicht unerhebliche Störung der betrieblichen Arbeitsabläufe.
Dies gilt im Besonderen dann, wenn etwa der Schriftverkehr mit Kunden in erster Linie über E-Mails abgewickelt wird
und hierdurch jede in dem Betrieb des Empfängers eingehende E-Mail als potentielle Kundenanfrage geöffnet und auch
gesichtet werden muss und das Herausfiltern von unaufgeforderten Werbezusendungen Arbeitzeit der Mitarbeiter bindet.
5. Durch ein lediglich unspezifiziertes und abstrakt geäußertes Interesse an einer Geschäftsbeziehung
wird nicht - auch nicht stillschweigend - das Einverständnis mit einer E-Mail-Werbung zum Ausdruck gebracht.
Gleiches gilt für die Annahme eines Bedarfs bei dem Beworbenen.
6. Auch wer sein Unternehmen selbst über E-Mail bewirbt, gibt hiermit keineswegs konkludent zu verstehen, dass
er auch mit dem Empfang von E-Mail-Werbung per elektronischer Post generell einverstanden ist (ähnlich Thüringer OLG WRP 2006, 611).
7. Die spätere Bitte um Zusendung weiterer Informationen (hier: im Jahr 2006) lässt einen
früheren Verstoß gegen § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG wegen der unaufgeforderten Übersendung von Werbe-Mails
(hier: August und September 2005) nicht nachträglich entfallen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die späteren Anfragen nicht
mit den beanstandeten Werbe-E-Mails in Zusammenhang stehen und nicht ersichtlich ist, dass der Verletzte die
unzulässige E-Mail-Werbung nachträglich genehmigen wollte. Im Übrigen ist eine nachträglich Genehmigung für
den Verbotstatbestand des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG grundsätzlich ohne Bedeutung; denn nur bei der vorherigen Zustimmung,
der Einwilligung, entfällt ein Verstoß gegen die Verbotsnorm des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG.
8. Eine mutmaßliche Einwilligung des Gewerbetreibenden in eine E-Mail-Werbung im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG
kommt nicht in Betracht. Insbesondere differenziert § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG nicht zwischen Verbrauchern und
Gewerbetreibenden und lässt für Gewerbetreibende eine mutmaßliche Einwilligung genügen (so aber: § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG).
9. Eine einzelne unerwünschte Werbe-E-Mail mag zwar den Grad einer bloßen Belästigung nicht überschreiten.
Die bloß vereinzelt gebliebene Mail ist für die Interessenabwägung aber nicht maßgeblich. Bei den
Übermittlungsformen per elektronischer Post ist für die Frage der unzumutbaren Belästigung nicht
auf die einzelne Zusendung, sondern auf das Massenphänomen abzustellen (vgl. hierzu BGH; Urteil vom 01. Juni 2006,
I ZR 167/03 bezüglich Telefaxwerbung; BGH NJW 2004, 1655 ff; OLG Düsseldorf MMR 2004, 820 - 821;
KG NJW-RR 2005, 51, 52). Die einzelne Werbe-E-Mail darf insofern nicht isoliert betrachtet werden, sondern
ist als Teil des nach allgemeiner Auffassung zu bekämpfenden Spammings aufzufassen.
MIR 2007, Dok. 122
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 02.04.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/624
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