Rechtsprechung
BGH, Urteil vom 21. 11.2006 - Az. VI ZR 259/05
Kritische Pressberichterstattung unter namentlicher Benennung des Betroffenen.
BGB §§ 823 Ah, 1004; GG Art. 2 Abs. 1; Art. 5 Abs. 1
Leitsätze:*1. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen in der Meldung einer Presseagentur unter namentlicher Benennung des Betroffenen
über dessen Abberufung als Geschäftsführer wegen nachhaltiger Störung des Vertrauensverhältnisses mit einem Großteil
der Mitarbeiter berichtet werden darf.
2. Äußerungen zu der Sozialsphäre desjenigen, über den berichtet wird, dürfen nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen
auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale
Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sind. Tritt der Einzelne als ein in der Gemeinschaft lebender Bürger in
Kommunikation mit anderen, wirkt er durch sein Verhalten auf andere ein und berührt er dadurch die persönliche Sphäre
von Mitmenschen oder Belange des Gemeinschaftslebens, dann ergibt sich aufgrund des Sozialbezuges eine Einschränkung des
Bestimmungsrechts desjenigen, über den berichtet wird (st. Rspr. vgl. BVerfGE 35, 202, 220 - Lebach; 97, 391, 406; BVerfG,
Beschluss vom 23. Februar 2000 - 1 BvR 1582/94 - NJW 2000, 2413, 2414; BVerfG Beschlüsse vom 17. Dezember 2002 - 1
BvR 755/99 und 756/99 - AfP 2003, 43, 46).
3. Wer sich im Wirtschaftsleben betätigt, setzt sich in erheblichem Umfang der Kritik an seinen Leistungen aus
(vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1994 - I ZR 216/92 - AfP 1995, 404, 407 f. - Dubioses Geschäftsgebaren - und
BGHZ 138, 311, 320 m.w.N.). Zu einer solchen Kritik gehört auch die Namensnennung. Die Öffentlichkeit hat in solchen
Fällen ein legitimes Interesse daran zu erfahren, um wen es geht und die Presse könnte durch eine anonymisierte Berichterstattung
ihre meinungsbildenden Aufgaben nicht erfüllen. Insoweit drückt sich die Sozialbindung des Individuums in Beschränkungen seines
Persönlichkeitsschutzes aus. Denn dieser darf nicht dazu führen, Bereiche des Gemeinschaftslebens von öffentlicher Kritik
und Kommunikation allein deshalb auszusperren, weil damit beteiligte Personen gegen ihren Willen ins Licht der Öffentlichkeit
geraten (vgl. BGH vom 20. Januar 1981 - VI ZR 163/79).
4. Der Begriff der identifizierenden Berichterstattung ist ein durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des
Bundesgerichtshofs geprägter allgemeiner Rechtsbegriff (vgl. etwa BVerfGE 35, 202, 219 ff. - Lebach; BGH vom 15.
November 2005 - VI ZR 286/04 - VersR 2006, 274, 275), dessen Sinngehalt jedenfalls in einem konkreten Kontext nicht zweifelhaft
oder zwischen den Parteien streitig sein muss, und deshalb als Verallgemeinerung einer konkreten Verletzungsform im Interesse
einer sachgerechten Titulierung im Rahmen eines Unterlassungsantrags unbedenklich ist.
MIR 2007, Dok. 041
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 31.01.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/543
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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