Rechtsprechung
BGH, Urteil vom 10.10.2006 - Az. KZR 26/05
Preselection - Ein marktbeherrschender Betreiber eines Teilnehmernetzes hat Mitbewerbern (Verbindungsnetzbetreibern) dieses diskriminierungsfrei zur Verfügung zu stellen.
TKG 1999 § 33 Abs. 1; TKG 2004 § 42; BGB § 174
Leitsätze:*1. Ein marktbeherrschender Betreiber eines Teilnehmernetzes darf die Voreinstellung eines Telefonkundenanschlusses auf das
Verbindungsnetz eines Mitbewerbers (Preselection) grundsätzlich nur dann von einem schriftlichen Kundenwunsch nach
Änderung der Voreinstellung abhängig machen, wenn er auch für die Wiederherstellung der Voreinstellung auf das eigene
Verbindungsnetz eine schriftliche Erklärung des Kunden voraussetzt.
2. Für den Anspruch des Wettbewerbers nach § 33 TKG 1999 auf Zugang zu wesentlichen Leistungen des Normadressaten ist es
unerheblich, ob es um eine Leistung geht, die der Normadressat im schuldrechtlichen Sinne gegenüber dem Wettbewerber als
Leistungsempfänger erbringt. Das ergibt sich schon daraus, dass die Vorschrift nicht nur auf dem Markt angebotene, sondern
auch intern genutzte Leistungen erfasst. Maßgeblich ist vielmehr, ob es sich um eine Leistung handelt, die der Erbringung
anderer Telekommunikationsleistungen durch den Wettbewerber dienen kann und als technisch und wirtschaftlich funktionell
eigenständige und abgrenzbare Leistung (intern) nutzbar und bewertbar ist. Dies ist bei der Voreinstellung des
Endkundenanschlusses auf das Verbindungsnetz eines Wettbewerbers, die die Voraussetzung dafür bietet, dass der Endkunde
dieses Netz ohne Verwendung der Verbindungsnetzbetreibervorwahl bei dem einzelnen Telefonat benutzen kann, ohne weiteres der Fall.
3. Ein marktbeherrschender Betreiber eines Teilnehmernetzes (hier: die Deutsche Telekom AG - DTAG) ist verpflichtet, seinen
Wettbewerbern diskriminierungsfrei Zugang zu dieser Leistung (siehe Leitsatz 2) zu verschaffen. Zu den Bedingungen dieses
Zugangs, die dem Diskriminierungsverbot unterworfen sind, gehört auch die Art und Weise, wie der Kundenwunsch nach Voreinstellung
auf das Verbindungsnetz eines Wettbewerbers zu übermitteln und gegebenenfalls nachzuweisen ist.
4. Einem marktbeherrschenden Teilnehmernetzbetreiber ist es verwehrt, unter Berufung auf § 174 BGB von einem Wettbewerber
schriftlich erteilte Kundenaufträge zu verlangen, solange er sich selbst mit mündlichen Aufträgen begnügt.
Aufgrund der Verpflichtung der Beklagten zur Entbündelung ihrer Leistungen darf sie nämlich Kundenwünsche nach der Voreinstellung
auf ein bestimmtes Verbindungsnetz grundsätzlich nicht unterschiedlich behandeln. Das von § 174 BGB dem Erklärungsempfänger
eingeräumte Recht, das einseitige Rechtsgeschäft zurückzuweisen, wenn der Bevollmächtigte keine Vollmachtsurkunde vorlegt,
erlaubt es dem Erklärungsempfänger, sich Gewissheit darüber zu verschaffen, ob das Rechtsgeschäft tatsächlich der vertretenen
Person zugerechnet werden kann.
Wenn der Teilnehmernetzbetreiber es für erforderlich hält, sich eine solche Gewissheit zu verschaffen, ehe er die Voreinstellung
vornimmt, ist ihm dies nicht verwehrt. Daraus ergibt sich jedoch keine sachliche Rechtfertigung für eine Differenzierung nach
dem Betreiber des Verbindungsnetzes.
5. Das Entbündelungsgebot gebietet insoweit dem Teilnehmernetzbetreiber vielmehr die gedankliche Trennung zwischen der
Funktion als Teilnehmernetzbetreiber und der Funktion als Verbindungsnetzbetreiber. Sofern es für eine Differenzierung keine
anderweitige Rechtfertigung gibt, darf der Teilnehmernetzbetreiber das von § 174 BGB geschützte Gewissheitsinteresse nur dann
gegenüber den Betreibern anderer Verbindungsnetze verfolgen, wenn er es auch gegenüber dem Vertrieb des eigenen Verbindungsnetzes wahrt.
MIR 2007, Dok. 013
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 10.01.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/515
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