Rechtsprechung
KG Berlin, Urteil vom 14.03.2006 - Az. 5 W 40/06
Zur wettbewerbsrechtlichen Bewertung einer Werbung mit älteren Testergebnissen für ein (Webhosting-) Produkt, einer Werbung mit zeitlich zurückliegenden Preisherabsetzungen und zu Neuheitswerbungen.
UWG §§ 3, 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, 8 Abs. 1
Leitsätze:*1. Eine Werbung mit älteren Testergebnissen ist irreführend, wenn der Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht erkennbar gemacht wird,
die angebotenen Waren mit den seinerzeit geprüften nicht gleich sind, die getesteten Waren technisch durch neuere Entwicklungen
überholt sind oder für solche Waren neuere Prüfungsergebnisse vorliegen. Denn der Werbung mit einem (bloßen) Testergebnis entnimmt
der Verkehr in aller Regel die Aussage, das Testergebnis sei nach wie vor für das beworbene Prdukt - in seinem Marktumfeld -
aussagekräftig.
2. Irreführungsgefahren bei der Werbung mit älteren Testempfehlung überwiegen die Interessen des jeweils getesteten Unternehmens
deutlich. Denn wegen der wesentlich geänderten Marktverhältnisse sind die Informationsinteressen des Unternehmens nicht mehr schutzwürdig.
Unerheblich ist dabei, dass der Werbende das Alter der Testaussage erkennbar macht. Dies ist vielmehr bei älteren Testempfehlungen
ein notwendiges Gebot, das aber für sich allein noch nicht Werbung mit älteren Testaussagen in jedem Einzelfall rechtfertigen kann.
Zwar ist dem verständigen, durchschnittlich informierten und situationsadäquat aufmerksamen Durchschnittsverbraucher allgemein ein rascher
Wandel der technischen und wirtschaftlichen Verhältnisse gerade im Bereich des Internets bekannt. Wenn aber blickfangmäßig
hervorgehoben mit einer Testempfehlung geworben wird, lässt dies ohne weiteres sogar die Vermutung zu, das so beworbene Produkt sei
derart innovativ gewesen, dass es sich sogar über einen längeren Zeitraum am Markt habe behaupten können.
3. Eine Werbung mit Preisherabsetzungen ist wettbewerbsrechtlich zwar grundsätzlich zulässig. Sie darf den Verkehr allerdings nicht
über die herausgestellte Sparwirkung und die besondere Preisgünstigkeit, die ihn zum Kauf veranlassen soll, irreführen. Eine solche
Irreführung kommt unter anderem dann in Betracht, wenn der frühere höhere Altpreis nicht in letzter Zeit vor der Preisherabsetzung verlangt
worden war, insbesondere aber wenn der angeblich gesenkte Preis bereits vor der Werbung gegolten hat und daher eine Preissenkung in
Wahrheit nicht vorliegt.
4. Die Frage, wann ein als herabgesetzt bezeichneter Preis nicht mehr als Vergleichswert geeignet ist, weil seine Geltung zu lange zurück
liegt, bestimmt sich nach der Verkehrsaufassung und lässt sich nicht einheitlich beantworten. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalles,
insbesondere die Warenart, die Verhältnisse des Betriebes und die Wettbewerbssituation. Insoweit gilt für langlebige Wirtschaftsgüter
(z.B. Möbel und Teppiche) etwas anderes als für Waren des täglichen Bedarfs und (leicht verderbliche) Lebensmittel. Bei hochwertigen
Gütern ist ein schneller, häufiger Preiswechsel unüblich. Ebenso haben die Art und Weise der Werbung Einfluss auf die Verbrauchererwartung
und die Tatsache, dass mit einer Anzeige in einer Tageszeitung, einem Prospekt oder in einem Katalog geworben wird, und ob
die Preisgestaltung durch Zusätze wie "ab sofort" oder "jetzt" erläutert wird. Maßgeblich ist damit eine Interessenabwägung.
5. Angaben, die auf die Neuheit einer angebotenen Ware oder Leistung hindeuten, müssen wahr sein. Die Änderung, auf die sich
eine solche Werbung bezieht, darf auch zeitlich nicht allzu lange zurückliegen, da sonst beim Publikum der irrige Eindruck
entstehen kann, die Neuerung sei gerade erst eingetreten. Maßgeblich sind auch hier die jeweiligen Umstände des Einzelfalles.
6. Ein Unterlassungsantrag wird (teilweise) unbegründet, wenn er durch eine zu weite Verallgemeinerung über den bestehenden Anspruch
hinaus geht, insbesondere wenn er auch Handlungen einbezieht, die nicht wettbewerbswidrig sind.
7. Nicht jede Preisgegenüberstellung in periodisch erscheinenden Prospekten muss irreführend sein, nur weil der Preis bereits
in einem Vorläuferprospekt geändert worden ist. Ein wöchentlich erscheinender Prospekt etwa erlaubt eher eine Wiederholung der
Werbung mit einer Preisherabsetzung als ein monatlich oder gar jährlich erscheinender Prosepkt.
MIR 2006, Dok. 194
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 25.10.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/412
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