Rechtsprechung
BVerfG, Beschluss vom 22.08.2006 - Az. 1 BvR 1168/04
In der rechtlichen Anerkennung der Möglichkeit zur Kommerzialisierung des Rechts am eigenen Bild liegt keine unzulässige richterrechtliche Rechtsfortbildung contra legem. Ebensowenig ist verfassungsrechtlich zu beanstanden, dass Bestandteile dieses Rechts nach dem Tod des Rechtsträgers auf seine Erben übergehen.
GG Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1 Abs. 1; KUG § 22
Leitsätze:*1. Die Schutzwirkungen des verfassungsrechtlichen postmortalen Persönlichkeitsrechts ist nicht identisch
mit denen, die sich aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG für den Schutz lebender Personen ergeben.
Postmortal geschützt wird zum einen der allgemeine Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht,
zum anderen der sittliche, personale und soziale Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat.
2. Die kommerzielle Ausbeutung der Persönlichkeit eines Verstorbenen kann die Menschenwürde verletzen, wenn Persönlichkeitsbestandteile
so ausgenutzt werden, dass der Achtungsanspruch der Person, etwa durch erniedrigende oder entstellende Werbung, beeinträchtigt wird.
In anderen Fällen tastet die kommerzielle Ausbeutung der Persönlichkeit eines Verstorbenen zu Werbezwecken dessen Menschenwürde regelmäßig
nicht an.
3. Werden Persönlichkeitsmerkmale Verstorbener im Rahmen der Wirtschaftswerbung genutzt, baut solche Werbung auf dem durch die Lebensleistung
erworbenen Geltungswert des Verstorbenen auf, um ein Produkt attraktiv erscheinen zu lassen. Unter den heutigen sozialen und wirtschaftlichen
Gegebenheiten schmälert eine solche Werbung die Annerkennung des Betroffenen grundsätzlich nicht. Wohl aber kann in derartigen Fällen das Interesse
derjenigen Personen verletzt sein, die über die wirtschaftliche Verwertung des Persönlichkeitsrechts entscheiden dürfen. Der hiervon betroffene
Aspekt der Persönlichkeitsentfaltung unterliegt allerdings nicht der Menschenwürdegarantie.
4. Der Gesetzgeber und die Zivilgerichte sind grundsätzlich nicht daran gehindert, den Schutz des Persönlichkeitsrechts weiter
auszubauen als verfassungsrechtlich geboten. Hierbei haben sie allerdings gegenläufige grundrechtliche Positionen Dritter zu wahren.
5. In der rechtlichen Anerkennung der Möglichkeit zur Kommerzialisierung des Rechts am eigenen Bild liegt keine unzulässige richterrechtliche
Rechtsfortbildung contra legem. Ebensowenig ist verfassungsrechtlich zu beanstanden, dass Bestandteile dieses Rechts nach dem
Tod des Rechtsträgers auf seine Erben übergehen.
6. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, § 22 KUG heute so anzusehen, dass die Norm auch im Dienst von Vermögensinteressen
steht. Insoweit der Gesetzgeber nicht geklärt hat, wem die Vermögensvorteile zustehen sollen und insbesondere, ob dies nur die
Einwilligungsberechtigten sein dürfen, kann die Klärung dieser Frage Gegenstand richterrechtlicher Rechtsfortbildung sein.
7. Gemäß § 22 Satz 3 KUG haben die Angehörigen ein Wahrnehmungsrecht hinsichtlich ideeller Interessen, ohne Inhaber des
Persönlichkeitsrechts zu sein. Diesem Wahrnehmungsrecht wurde im Wege der richterrechtlichen Rechtsfortbildung im Interesse
der Wirksamkeit des Schutzes der ideellen Interessen ein ideell gebundener Schutz von Vermögensinteressen hinzugefügt. Es
entspricht den Grundgedanken des bürgerlichen Rechts, die Wahrnehmung solcher Vermögensinteressen den Erben zuzugestehen.
MIR 2006, Dok. 174
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 03.10.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/392
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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