Rechtsprechung // Zivilrecht
BGH, Beschluss vom 25.01.2017 - XII ZR 69/16
Vorrang der Individualvereinbarung - Eine in AGB enthaltene doppelte Schriftformklausel schließt eine mündliche oder auch konkludente Änderung der Vertragsabreden nicht aus
BGB §§ 305b, 307, 550; ZPO § 91 a
Leitsätze:*1. Eine in einem Mietvertrag über Gewerberäume enthaltene sog. doppelte Schriftformklausel kann im Falle ihrer formularmäßigen Vereinbarung wegen des Vorrangs der Individualvereinbarung nach § 305 b BGB eine mündliche oder auch konkludente Änderung der Vertragsabreden nicht ausschließen.
2. Den Vorrang gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen haben individuelle Vertragsabreden ohne Rücksicht auf die Form, in der sie getroffen worden sind, und somit auch, wenn sie auf mündlichen Erklärungen beruhen. Das gilt selbst dann, wenn durch eine AGB-Schriftformklausel bestimmt wird, dass mündliche Abreden unwirksam sind (BGH, Urteil vom 21.09.2005 – XII ZR 312/02).
Zwischen einfacher und doppelter Schriftformklausel sind insoweit keine maßgeblichen Unterschiede erkennbar.
Der Vorrang der Individualvereinbarung muss bei beiden auch dann gewahrt bleiben, wenn man ein Interesse des Verwenders anerkennt, einem langfristigen (hier: Miet-) Vertrag nicht durch nachträgliche mündliche Abreden die Schriftform zu nehmen, und deshalb eine solche Klausel ausnahmsweise als wirksam ansieht. Das gebieten Sinn und Zweck des § 305 b BGB, wonach vertragliche Vereinbarungen, die die Parteien für den Einzelfall getroffen haben, nicht durch davon abweichende Allgemeine Geschäftsbedingungen durchkreuzt, ausgehöhlt oder ganz oder teilweise zunichte gemacht werden können. Allgemeine Geschäftsbedingungen als generelle Richtlinien für eine Vielzahl von Verträgen sind abstrakt vorformuliert und daher von vornherein auf Ergänzung durch die individuelle Einigung der Parteien ausgelegt. Sie können und sollen daher nur insoweit Geltung beanspruchen, als die von den Parteien getroffene Individualabrede dafür Raum lässt. Vereinbaren die Parteien - sei es mündlich - etwas anderes, so kommt dieser Individualvereinbarung der Vorrang zu (vgl. BGH, Urteil vom 21.09.2005 – XII ZR 312/02).
Das Interesse des Klauselverwenders oder gar beider Vertragsparteien, nicht durch nachträgliche mündliche Absprachen die langfristige beiderseitige Bindung zu gefährden, muss gegenüber dem von den Parteien später übereinstimmend Gewollten zurücktreten. Es kommt - anders als bei einer individuell vereinbarten doppelten Schriftformklausel - auch nicht darauf an, ob die Parteien bei ihrer mündlichen Absprache an die entgegenstehende Klausel gedacht haben und sich bewusst über sie hinwegsetzen wollten (vgl. BGH, Urteil vom 21.09.2005 – XII ZR 312/02).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 20.02.2017
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2804
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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